Man könnte Jean-Henri Fabre (1823-1915) als Insektenpoet bezeichnen. Keiner schrieb über Insekten so anschaulich, intim und liebevoll wie der französische Naturwissenschaftler.
Das Aussehen der Gottesanbeterin vergleicht er mit einer «in Andacht verzückten Nonne». Den Seidenfaden, den die Raupen des Prozessionsspinners fortlaufend spinnen, nennt er ein «soziales Band, das die Glieder der Gemeinde unauflöslich fest zusammenhält». Und in seinem Freilicht-Labor will er «Grab- und Sandwespe befragen».
Mit Insekten interagieren
Fabre war Wegbereiter der modernen Insektenforschung. Anders als seine Zeitgenossen war er nicht daran interessiert, tote Insekten zu vermessen und zu klassifizieren. Ihn interessierten die Wechselwirkungen der freien Natur. Er war ein Pionier der Verhaltensforschung.
Ob Rüsselkäfer oder Grabwespe, ob Nachtpfauenauge oder Mistkäfer: Fabre studierte die Tiere lebend. Er wollte herausfinden, wie sie sich ernähren, ihre Nester bauen oder ihre Brut pflegen.
Ein «unübertroffene Beobachter», wie Charles Darwin ihn nannte. Manchmal griff er auch behutsam ins Geschehen ein. So kam Fabre vielem auf die Spur, was vorher im Dunkeln gelegen hatte, etwa den Pheromonen – einem Botenstoff, mit dem Weibchen die Männchen anlocken.
Der Naturwissenschaftler als Literat
Sein Labor war der eigene Garten in der Provence, seine Studien betrieb er «unter blauem Himmel beim Gesang der Zikaden». So schreibt es Fabre in seinen «Souvenirs entomologiques».
Diese «Erinnerungen eines Insektenforschers» begann Fabre ab 1870 festzuhalten. Im Lauf der Jahrzehnte wuchsen sie zu einem Mammutwerk.
4000 Seiten in zehn Bänden, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Jean-Henri Fabre entführt uns in diesen Büchern in einen Kosmos, in dem uns die Insekten wie gute Bekannte begegnen.
Insekten als Figuren einer Geschichte
Wir beobachten zum Beispiel hautnah, wie geschickt der Heilige Pillendreher seine Mistkugel mit seinen drei Beinpaaren über den Erdboden befördert: «Und drauflos! Das Ding geht, das Ding rollt; wir kommen schon hin, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten», schreibt Fabre.
Wir fiebern mit, wenn der Käfer seine Kugel über einen Hang schieben muss. In Fabres Worten: «Ein kühnes Vorhaben, das ein falscher Schritt oder ein Sandkorn, das die Ladung aus der Balance bringt, zunichtemachen kann.»
Genau das passiert natürlich. «Nimm wenigstens den anderen Pfad, der führt dich hoch in sanfter Steigung!», rät der Forscher seinem Mistkäfer. Doch der bleibt stur und wählt den steilen Weg.
Kugel und Käfer rollen «holterdipolter» hinunter. «Zehn oder zwanzig Mal wird er den Aufstieg versuchen, bis seine Beharrlichkeit die Hindernisse überwindet oder er, klug geworden, die gerade Strasse wählt.»
Vorgeschlagen für Literatur-Nobelpreis
Sein ganzes Leben hatte Jean-Henri Fabre mit finanziellen Nöten zu kämpfen. Erst im hohen Alter wurden er und sein Werk berühmt.
1911 kam der Vorschlag für den Literaturnobelpreis. Bekommen hat ihn zwar ein anderer. Aber an Fabres Insekten kann man sich noch heute fast nicht sattlesen.