Ein Draht, ein wenig grüne Knete, ein bisschen basteln – und heraus kommt die Raupen-Attrappe. Die Schüler der Primarschule Bachtobel in Zürich sind mit vollem Einsatz bei der Sache.
Was an Werkunterricht erinnert, ist Teil eines europaweiten Citizen Science Projekts. Die gebastelten Knet-Raupen werden die Schüler später an einer speziell ausgesuchten Eiche im Siedlungsraum befestigen.
Ziel der Aktion ist es, mehr über das Zusammenspiel von Eichen, ihren Schädlingen und deren Räubern im Klimawandel herauszufinden. Mehr als 40 Schulklassen aus 13 Ländern von Spanien bis Schweden machen mit. Dadurch entsteht ein riesiger Datensatz für die Forschung.
Lebensraum Eiche
Eichen gelten als Hoffnungsträger im Klimawandel. Gegenüber Wärme und Trockenheit sind sie toleranter als viele andere einheimische Baumarten. Deshalb besteht ein grosses Interesse daran, diese Baumart zu fördern. Nur unzerstörbar sind auch Eichen nicht.
Sie beherbergen mit die grösste Vielfalt an pflanzenfressenden Insekten. Meist fressen die sogenannten Herbivoren nur einen kleinen Teil der Pflanze. Ist der Frassschaden aber gross und der Schädlingsbefall intensiv, wie es beispielsweise durch die Eichenprozessspinnerraupen vorkommt, schwächt das den Baum. Kommen weitere Störfaktoren wie extreme Trockenheit durch den Klimawandel hinzu, kann auch eine Eiche absterben.
Feinde des Feindes sind Freunde
Der Baum ist aber nicht wehrlos. Eichen produzieren abstossende, giftige Stoffe, wodurch ihre Blätter für Schädlinge schlecht verdaulich sind. Zudem haben Eichen Verbündete: Verschiedene Raubinsekten, aber auch kleine Säugetiere und Vögel machen sich über die Schädlinge her. Die Bäume werden also auch von den Feinden ihrer Feinde geschützt.
Bisher weiss die Forschung wenig über das konkrete Zusammenspiel von chemischer Pflanzen-Verteidigung, Insektenfrass und Räuberangriffen. Vor allem der Einfluss des Klimas ist weitestgehend unerforscht. Das soll das Forschungsprojekt ändern.
«Wahrscheinlich eine Vogelspur»
Martin Gossner ist Waldentomologe und koordiniert das Projekt innerhalb der Schweiz. Wie die Schulklasse hat auch er zusammen mit seinen Studenten fleissig Knet-Raupen gebastelt. Eine erste Ladung Raupen hatte er bereits vor zwei Wochen an drei Eichen im Wald befestigt. Heute tauscht er diese aus und ersetzt sie durch neue.
Bereits die erste abgenommene Raupe ist ein Volltreffer. In der Knete befinden sich deutliche Spuren eines Angriffs. «Wahrscheinlich eine Vogelspur», erklärt Gossner. Rund 80 Prozent der Raupen-Attrappen im Baum wurden attackiert.
Dass die Räuber überhaupt auf die Knet-Attrappen hereinfallen, hat auch den Forscher überrascht: «Ich dachte, dass sich mehr über den Geruchssinn abspielt.» Tatsächlich orientieren sich die Räuber aber erst einmal optisch, wenn es darum geht, potentielle Nahrung zu erspähen.
Schulklassen aus ganz Europa forschen mit
Auch die Schüler der Klasse 5 sind inzwischen an ihrer Eiche angekommen und haben mit dem Austausch der vor zwei Wochen ausgebrachten Raupen begonnen. Zurück im Schulzimmer werden sie die gefundenen Abdrücke mit Hilfe von Referenzspuren später noch genauer analysieren und alle Daten schriftlich und fotografisch festhalten.
Ihre Befunde schicken die Schulklassen wie auch die beteiligten Forscher aus ganz Europa an die Projektleitung in Frankreich. Dort findet die Gesamtanalyse statt. Bis Ende Jahr werden erste Ergebnisse vorliegen.
Räuber gezielt fördern
Die Intensität und Menge der gefundenen Spuren gibt Auskunft über den vorhandenen Räuberdruck. Zusammen mit den anderen erhobenen Daten – wie beispielsweise dem Blattfrass pro Baum – lassen sich damit Rückschlüsse ziehen, welchen Einfluss der Faktor Räuber auf das Schädlingsauftreten hat und ob sich dieser je nach Klimazone unterscheidet.
«Wenn man das verstanden hat, dann kann man sich überlegen, wie man sich vorbereiten könnte auf die Klimaerwärmung», erklärt Gossner. So könnten beispielsweise bestimmte Räuber, die eine grosse Rolle spielen, gezielt fördert werden, um die Schädlinge in Schach zu halten.
«Möglicherweise finden wir tatsächlich Ergebnisse, die uns helfen vorherzusagen, was in Zukunft hier in Mitteleuropa passieren wird», hofft Gossner. Es wäre ein weiterer wichtiger Schritt, um die Folgen der Klimaerwärmung besser abschätzen und darauf rechtzeitig reagieren zu können. Wissen, von dem wir alle profitieren werden und dass vor allem auch durch die engagierte Mithilfe hunderter Schüler aus ganz Europa möglich wird.