Im Japanischen gibt es für das Urinieren in der Gruppe den Begriff «Tsureshon» – was darauf hindeutet, dass sich auch Japanerinnen und Japaner öfters zusammen aufs Stille Örtchen begeben.
Logo: Nicht nur Japanerinnen und Japaner tun das. Auf der ganzen Welt stecken sich Menschen zum gemeinsamen Pinkeln an. Seit Jahrtausenden schon.
«Beim Menschen kann das gemeinsame Urinieren als soziales Phänomen betrachtet werden», erklärt Ena Onishi von der Kyoto University in Japan. Die Doktorandin beschäftigt sich seit Längerem mit dem kollektiven Toilettengang.
In der Studie, die jetzt im Fachjournal Current Biology erschienen ist, bezeichnet sie das Phänomen als «ansteckendes Urinieren». Die Harn-Hauptrolle spielen hier allerdings Schimpansen.
Über 600 Stunden Videomaterial haben Onishi und ihre Kollegen observiert, ganze 1300 Toilettengänge von Menschenaffen in Gefangenschaft analysiert. Eines wurde ihnen dabei schnell klar: Uriniert wird bei den Schimpansen mit einer gewissen Synchronisation.
Sozialer Rang ist entscheidend
Bereits 2019 fiel der Forscherin dieses Verhalten in einem Schutzgebiet in Kyoto auf, so Onishi gegenüber der New York Times: «Ich beobachtete eine Gruppe von Schimpansen und stellte fest, dass sie häufig gleichzeitig urinierten.» Ihre Vermutung: Es könnte sich um ein ansteckendes Verhalten handeln – ähnlich wie ansteckendes Gähnen.
Die Analyse der Videos brachte dann mehrere spannende Erkenntnisse ans Licht: Im Gegensatz zum Gähnen, bei dem die Wahrscheinlichkeit des Gähnens höher ist, wenn es sich um eine nahestehende Person handelt (also die soziale Nähe eine Rolle spielt), ist beim Urinieren der soziale Rang entscheidend. Konkret lassen sich vor allem rangniedrigere Schimpansen von Ranghöheren anstecken.
Ansteckendes Urinieren könnte den Menschenaffen helfen, die Bindungen innerhalb der Gruppe zu stärken und den sozialen Zusammenhalt insgesamt zu fördern.
Ausserdem weisen die Pinkel-Pausen der Schimpansen auch eine örtliche Synchronisation auf: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schimpanse uriniert, ist laut Studien-Ergebnissen höher, je näher er sich am ersten Urinierer befindet.
Zugehörigkeit markieren, Handlungen koordinieren
Die Frage ist: Warum neigen Schimpansen zu diesem Verhalten? Dazu hat Onishi’s Team mehrere Hypothesen aufgestellt. «Ansteckendes Urinieren könnte den Menschenaffen helfen, die Bindungen innerhalb der Gruppe zu stärken und den sozialen Zusammenhalt insgesamt zu fördern.»
Es könnte auch eine gemeinsame Bereitschaft für kooperative Verhaltensweisen signalisieren. Möglich wäre aber auch, dass rangniedrigere Schimpansen das Verhalten ihrer ranghöheren Artgenossen imitieren, um ihre Zugehörigkeit zur Gruppe zu unterstreichen.
Evolutionsbiologe Martin Surbeck von der Harvard-Universität vermutet, dass dieses Pinkelverhalten tatsächlich nicht nur bei der untersuchten Gruppe auftritt, wie er in einem Kommentar zur Studie schreibt: «In freier Wildbahn sieht man oft, dass Menschenaffen ihre Handlungen innerhalb der Gruppe koordinieren.»
Ähnliches Verhalten könnte möglicherweise auch bei anderen sozialen Spezies vorkommen. Wie bei Menschen eben.