Atomkraftwerke im Kriegsgebiet sind offensichtlich eine Bedrohung. Offensichtlich ist auch, dass der zusätzliche CO2-Ausstoss in einem Krieg enorm ist – durch Brände oder den hohen Treibstoffverbrauch von schwerem Gerät. Doch es gibt zahlreiche weitere Faktoren und Ereignisse im Krieg, die die Natur schädigen oder zerstören.
Diese dokumentiert die ukrainische Umweltorganisation Ecoaction seit der russischen Invasion. Evgenia Zasiadko, Mitarbeiterin von Ecoaction sagt: «Lasst uns nicht nur über die menschlichen Verluste sprechen, sondern auch über die Umweltschäden. Denn die werden noch Auswirkungen auf uns haben, wenn der Krieg einmal vorbei ist.»
Verseuchtes Grundwasser
Die Ökologin nennt ein Beispiel: Im Osten der Ukraine gibt es unterirdische Kohleminen. Damit diese nicht mit Grundwasser volllaufen, müssten dort Tag und Nacht Pumpen laufen. Aber dafür fehlt der Strom. Die Schächte stehen darum unter Wasser. Dieses Wasser schwemmt zusammen mit Kohlestaub auch giftige Schwermetalle aus, die so ins Grundwasser gelangen können.
Doch Menschen trinken dieses Wasser. «Mehr als 40 Kohleminen sind geflutet – eine enorme Umweltkatastrophe in dieser Region. Und es besteht ein grosses Risiko für die Menschen», so Zasiadko.
Es gibt Hunderte weitere Beispiele: zerbombte Naturschutzgebiete, brennende Wälder, Kläranlagen, die mangels Stroms nicht laufen, sodass die Abwässer ungereinigt in die Flüsse fliessen.
In einem hoch industrialisierten Land wie der Ukraine geht von vielen Objekten, die zerstört werden, eine Gefahr aus. Ein besonders krasses Beispiel dafür ist das zerstörte Asow-Stahlwerk in Mariupol. In einem solchen Industriewerk lagern zwangsläufig viele giftige Stoffe.
Auch militärische Ziele stellen ein Risiko für die Umwelt dar. Jörg Mathieu ist Experte bei armasuisse, dem Bundesamt für Rüstung und dort unter anderem für Umweltfragen zuständig. «Die Parteien greifen vor allem Munitionsfabriken und Munitionslager an. Explosivstoffe werden so im Gelände verteilt. Zum Teil kommen noch Blindgänger dazu.»
Giftige Sprengstoffe
Zudem sind viele Sprengstoffe an sich giftig. So verursacht Trinitrotoloul, kurz TNT, Nerven- und Organschäden. TNT wird im Krieg in rauen Mengen verwendet, es ist in vielen Bomben und Granaten enthalten. Wenn Munitionsdepots beschossen oder gesprengt werden, kommt es oft vor, dass das TNT gar nicht explodiert. Stattdessen fliegen kleinste Teile davon durch die Luft und landen in der Umwelt. Oder der Sprengstoff verbrennt und setzt giftigen Russ frei. Dasselbe Problem gibt es bei der Vernichtung von Blindgängern.
All diese Umweltschäden gehen auf den russischen Angriffskrieg zurück. Dabei sind die Kriegsparteien dazu verpflichtet, die Zivilbevölkerung möglichst zu schützen – und eben auch die Umwelt.
Erst kürzlich haben das Rote Kreuz und das Schweizer Aussendepartement in einer gemeinsamen Erklärung wieder darauf hingewiesen. Botschafterin Nathalie Marti, Vizedirektorin der Direktion für Völkerrecht beim Bund, macht deutlich: «In bewaffneten Konflikten schützt das humanitäre Völkerrecht, die Umwelt ebenso wie die Zivilbevölkerung. Die Regeln gibt es bereits, die müssen nicht neu erfunden werden! Man muss sie respektieren und umsetzen.»
Doch genau das ist im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht gewährleistet. Zum Leid der Menschen. Und zum Leid der Natur.