Unsere Gene bestimmen in der Regel das Aussehen: etwa die Augenfarbe und Haarfarbe bei uns Menschen oder bei Tieren die Muster, welche sich im Fell abzeichnen.
Bei sogenannten Hautanhängseln wie Haaren, Federn und Schuppen gilt die Faustregel: Die Gene steuern, was da genau auf der Haut wächst. Die Fell-Muster von Zebras oder Geparden sind Beispiele dafür.
Krokodilgesichter als spektakuläre Ausnahme
Der Evolutionsbiologe Michel Milinkovitch von der Universität Genf will mit seiner Forschung einen Kontrapunkt setzen und zeigen: nicht alles funktioniert nach genetischem Bauplan.
Es gibt Ausnahmen, wo mechanische Prozesse eine Rolle spielen. Die Rillen auf Hundenasen und Kuhschnauzen beispielsweise. Die spektakulärste Ausnahme seien Krokodilgesichter, sagt Milinkovitch.
Einzigartige Schuppenmuster
Konkret geht es um die Schuppen auf den Krokodilgesichtern. Die Schuppen bilden Muster. Bei den einen Krokodilen sind es grobe Strukturen, andere haben filigrane Gesichtszüge. Jedes Muster ist einzigartig. Man kann Krokodile also daran individuell erkennen.
Was sich am Ende für ein Muster herausbilde, unterliege vollständig mechanischen Prozessen – und eben nicht der Genetik. Das zeigt eine neue Studie von Milinkovitchs Forschungsteam, die diese Woche im Fachmagazin Nature erschienen ist.
Rillen statt Schuppen
Dass dieses Muster entstehe, liege am schnellen Wachstum der Haut im Gesicht, erklärt Milinkovitch. Die Haut wachse im Embryonalstadium deutlich schneller als der Schädelknochen darunter, so der Forscher. Deshalb falte sich die Haut und bilde Rillen. Diese Rillen würden sich zu Vielecken verbinden und für das Muster im Gesicht sorgen.
Das Muster sieht so aus, als wären einzelne Schuppen gewachsen. Tatsächlich aber sind nur Rillen entstanden – in welchem Abstand und in welcher Form, bestimmt nur die Mechanik und nicht der genetische Bauplan. Die Geschwindigkeit, mit der die Haut wächst, und die Steifigkeit dieser Haut sind entscheidend.
Aus Nilkrokodil- wird Kaiman-Gesicht
Das Genfer Team hat für ihre Forschung Krokodilembryonen mit Mikroskopen untersucht. So konnten die Forschenden das Wachstum der Gesichtshaut genau rekonstruieren. Der Vergleich mit einem Computermodell zeigte: Die Schuppenbildung funktioniert tatsächlich rein mechanisch.
Die Forschenden gingen noch einen Schritt weiter. Sie konnten die Gesichter beeinflussen, indem sie den Krokodilembryonen Wachstumsproteine verabreichten. So schafften sie, dass Nilkrokodile, die normalerweise grobe Schuppenmuster im Gesicht haben, plötzlich Brillenkaimanen mit feinerer Schuppenoptik glichen.
Mechanik im Gesicht, Genetik am Körper
Speziell ist: die Aussagen gelten nur für die Gesichter der Krokodile. Die Schuppenbildung auf dem restlichen Körper der Krokodile ist genetisch vorgegeben. Warum es diesen Unterschied gibt, weiss Milinkovitch nicht.
Eine mögliche Erklärung sei: Die Haut im Gesicht sei sehr steif, wohl zum Schutz. Schon früh im Embryonalstadium sei sie stark verhornt. Es wäre wohl komplizierter, wenn es dann schon einzelne verhornte Schuppen gäbe, die noch weiterwachsen müssten. Da sei der physikalische Faltprozess wohl einfacher, sagt Milinkovitch. Auf jeden Fall seien Krokodilgesichter ein Fingerzeig, in der Biologie die Mechanik nicht zu vergessen.