«Einstein»: Der Klimawandel beschäftigt auch die Schweizer Medienszene: Wie sind da die Rollen verteilt?
Mike Schäfer: In der Schweiz haben wir eine Medienlandschaft, die Klimaberichterstattung im Sinne des Weltklimarats macht, so wie in vielen anderen europäischen Ländern. Mit Ausnahme der Weltwoche, die das einzige Blatt ist, die eine dezidiert skeptische Position einnimmt, also an der Existenz des Klimawandels zweifelt. Und daran, dass die Folgen tatsächlich so dramatisch sind wie sie häufig dargestellt werden oder dass man in dem Masse darauf reagieren muss, wie die Politik das plant.
Ein ähnliches Bild also wie in den Vereinigten Staaten – die Rolle der Weltwoche übernimmt dort Fox News, oder?
Ich wäre vorsichtig damit, die Situation dort mit der Schweiz zu vergleichen. In den USA haben Sie eine Leugnungsmaschinerie, die nicht nur aus einzelnen Medientiteln besteht. Da investieren milliardenschwere Finanziers aus dem Energiebereich, der Kohle- oder Automobilindustrie auch in die Produktion von Studien, die immer wieder die Existenz des Klimawandels in Zweifel ziehen. So eine infrastrukturelle Absicherung des Klimaskeptizismus gibt es in der Schweiz in diesem Ausmass nicht.
Auf der Gegenseite hat sogar Hollywood sich des Themas angenommen. James Cameron hat die Doku-Serie «Years of Living Dangerously» mit viel Aufwand und Geld gedreht – doch die Einschaltquoten waren schwach. Reichen nicht mal Superstars, um dieses Thema sexy zu machen?
Das Thema Klimawandel in einer Weise aufzubereiten, um dauerhaft ein grossen Publikum zu binden, ist enorm schwierig! Man kann das wohl kaum besser machen als Oscar-Gewinner James Cameron mit Superstars wie Matt Damon, Arnold Schwarzenegger und Harrison Ford. Wenn die Einschaltquoten nicht so hoch sind, muss man sich möglicherweise der Tatsache stellen, dass es nicht möglich ist, mehr Leute auf diese Weise für das Thema zu begeistern. Kommunikation hat auch ihre Grenzen. Und in vielen Bereich des Themas Klimawandel geht es nicht mehr primär um Wissensvermittlung. Die meisten Leute wissen im Grossen und Ganzen, worum es geht. Woran der Klimawandel liegt. Was sie tun können. Aber sie tun‘s nicht. Und die Frage ist: Kann man da kommunikativ noch etwas erreichen?
Kann man?
Das ist sehr schwierig… Es gibt dazu Studien: Selbst, wenn Sie sehr eindrückliche Filme wie «Day after Tomorrow» oder «An Inconvenient Truth» nehmen, dann zeigt sich erstens: In der Tendenz bekommen Sie die Leute ins Kino, die ohnehin schon von der Existenz und der Problematik des Klimawandels überzeugt waren. Sie reden vor den ohnehin schon Konvertierten, wenn sie so wollen.
Und zweitens?
Wenn Sie bei diesen Leuten anschauen, was solche Filme bewirken, dann sehen Sie: Die kommen aus dem Kino raus, noch stärker überzeugt davon, dass das Problem Klimawandel bearbeitet werden muss. Sie geben auch an, dass sie bereit sind, selbst etwas zu tun. Aber wenn man sie dann zwei Monate später noch einmal befragt, dann ist das erodiert. In der Zwischenzeit haben die Zuschauer schliesslich auch noch mal kritisch reflektiert: Wie war der Film damals denn eigentlich gemacht?
Also, die Halbwertzeit ist nicht sehr lang…
Das sind kurzfristige Effekte, die man erreicht. Und vielleicht einige sehr schwache längerfristige Effekte, aber die sind fast nicht mehr messbar…
Wie wichtig sind für die Wirkung denn einzelne Personen? Zum Beispiel Al Gore: Warum war sein Film «An Inconvenient Truth» erfolgreich, obwohl er ja nicht gerade ein filmisches Meisterwerk ist?
Also ich glaube, dass man die Situation in den USA mit Kontinentaleuropa nicht vergleichen kann. Dort müssen sie Äusserungen von Aktivisten wie Al Gore, der vorher Präsidentschaftskandidat und Vizepräsident war, immer vor dem Hintergrund der Polarisierung des Landes sehen, eben auch beim Klimawandel. Wenn da ein exponierter Protagonist einer Seite mit vielen Ressourcen einen Kinofilm produziert, erklärt das auch den Erfolg. Doch in der Schweiz und in vielen europäischen Ländern braucht man das in dieser Form gar nicht: Hier wird die Existenz des Klimawandels ja deutlich weniger angezweifelt. Insofern sind prominente Köpfe auch weniger notwendig.
Sind wir am Ende einfach klimamüde?
Ja, das sind wir. Egal, wo Sie hinschauen auf der Welt: Klimawandel war in den letzten zehn Jahren ein wesentliches Thema in der Berichterstattung – in einem Ausmass, wie man es bei wenigen anderen Themen hatte. Die Leute haben gehört, was der Klimawandel ist und wie er zustande kommt. Die Leute kennen die wesentlichen Szenarien, auch die Katastrophenszenarien. Und viele Menschen können das nicht mehr hören. Oder sehen.