Seit 30 Jahren fliesst aus Schweizer Zapfsäulen nur noch bleifrei. Denn für jeden ist klar, Blei ist ein überaus schädliches Umweltgift. Hoch geschätzt ist das blaugraue Schwermetall hingegen bei Jägern. Nichts trifft offenbar besser und tötet schneller als eine Bleikugel.
Doch die Geschosse gefährden auch Tiere, die gar nicht bejagt werden und erst noch geschützt sind: Steinadler und Bartgeier. Beide sind Aasfresser und machen sich mit Vorliebe über Tierreste her, die Jäger nach dem Ausweiden liegen lassen. Doch diese Reste, oft Innereien, enthalten Splitter der Bleimunition. Die aggressiven Verdauungssäfte der Greifvögel lösen das Blei; die Tiere können an Bleivergiftungen sterben.
Endlich Klarheit
In den letzten zehn Jahren wurden bei Steinadlern zwar selten, aber doch wiederholt solche Bleivergiftungen diagnostiziert. Die Vogelwarte Sempach und das Amt für Jagd und Fischerei Graubünden wollten Klarheit. Seit 2009 wurde tot aufgefundenen Steinadlern je ein Stück Leber, Niere und Knochen entnommen und zur genauen Blei-Analyse ans Institut für Rechtsmedizin der Uni Zürich geschickt. Dort verglichen Spezialisten die eingeschickten Proben mit solchen von Uhus, die im Gegensatz zu Steinadlern oder Bartgeiern kein Aas, sondern nur Lebendbeute verzehren.
Die Ergebnisse der Untersuchung blieben lange unter Verschluss. Doch heute legt Lukas Jenni, wissenschaftlicher Leiter der Vogelwarte Sempach, die Fakten gegenüber «Einstein» auf den Tisch: Von 41 untersuchten Steinadlern wiesen drei akute Bleivergiftungen auf. Aber auch in den Knochen fast aller anderen Adler stellte man sehr hohe Bleiwerte fest. Die Uhus aus der Vergleichsgruppe hatten zehn Mal tiefere Bleiwerte in den Knochen.
Für Lukas Jenni sind diese Resultate ein Beleg dafür, dass sich die Steinadler mit Bleifragmenten aus Jagdmunition kontaminieren. Aufgrund der Studiendaten macht sich der wissenschaftliche Leiter der Vogelwarte auch Sorgen um die bislang so erfolgreiche Wiederansiedelung der Bartgeier in unseren Alpen.
Umdenken ist nötig
Die erste Schweizer Studie über die Folgen von bleihaltiger Jagdmunition auf die Gesundheit Aas fressender Greifvögel hat die Befürchtungen zum Teil übertroffen. Die Vogelwarte Sempach hofft, dass die Forschungsarbeit Anstoss liefert für einen Wechsel auf Bleifrei-Geschosse.
Das Amt für Jagd und Fischerei Graubünden hat, wie andere Jagdverwaltungen auch, erste Massnahmen eingeleitet. So dürfen die Wildhüter, wenn sie zum Gewehr greifen müssen, nur noch bleifreie Munition verwenden. Zudem werden Jäger dazu angehalten, die Innereien von mit Bleimunition erlegtem Wild nicht mehr liegen zu lassen, sondern zu vergraben.
Welche Auswirkungen die hohen Bleiwerte auf die Vitalität der grossen Greifvögel haben, wollen die Studienmacher weiter untersuchen. Doch eines scheint klar: An einem Wechsel auf Alternativ-Munition aus Kupfer oder Messing kommt kein Jäger vorbei, der Steinadler und Bartgeier nicht unnötig gefährden will.