In der Schweiz werden jedes Jahr mehr als 2000 Tonnen Pestizide versprüht. Der Bund will den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zwar reduzieren, aber nach Auffassung vieler Fachleute ist das angeschlagene Tempo zu langsam. Die im Fachmagazin «Science» erschienene Studie könnte das ändern.
Sämtliche handelsüblichen Pestizide getestet
Biologen des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie EMBL haben den Effekt von über 1000 verschiedenen Chemikalien untersucht, die in der Landwirtschaft routinemässig gegen spezifische Organismen eingesetzt werden: Dazu zählen Insektizide – die auf Insekten abzielen, Herbizide – die gegen Pflanzen gerichtet sind –, sowie Fungizide gegen Pilze und deren Sporen. Jedes einzelne dieser Pestizide hat das Forschungsteam im Labor an den Larven von Taufliegen getestet, in drei praxisüblichen Konzentrationen.
Sie haben eine Substanz getestet, die bei 25 Grad null Mortalität hatte, bei 29 Grad jedoch 75 Prozent Mortalität. Das ist verheerend!
«Wir haben uns auf halb-abtötende Dosen konzentriert», erzählt Studienautor Lautaro Gardara; Konzentrationen also, welche die Tiere im Labor zunächst überlebten. Das Resultat: Bei 57 Prozent der Chemikalien zeigten die Larven bei niedrigen Dosen, wie sie bei uns auf den Äckern vorkommen, schwere Stressreaktionen.
«Solcher Stress beeinflusst die Entwicklung der Fliegen negativ», sagt Lautaro Gardara. Wie zum Beispiel die Fortpflanzung beeinträchtigen – und schliesslich zum Absterben führen. Die gleichen schädlichen Effekte stellten die Forscher auch an Larven von Distelfaltern und Stechmücken fest.
Auch Käfer, Amphibien oder Vögel betroffen?
Lukas Pfiffner ist Agrarökologe am FIBL in Frick und forscht selbst zur Biodiversität von Insekten. Er hält die Studie des EMBL für wegweisend. «Erstmals sind nicht-tödliche Effekte von Pestiziden auf Insekten systematisch aufgezeigt worden», sagt er. Dabei habe die Studie auch aufgedeckt, dass Fungizide und Herbizide, die eigentlich gegen Pilze bzw. Pflanzen gerichtet sind, den Insekten ebenfalls schaden.
Das Zulassungsverfahren hierzulande muss deutlich reformiert werden.
Gemäss Lukas Pfiffner müsste man weitere Tiere, die auf Äckern leben, in eine solche Studie einbeziehen, etwa Laufkäfer, Spinnen, Amphibien und Vögel.
Die EMBL-Studie hat auch simuliert, wie sich steigende Temperaturen auf die Toxizität von Pestiziden auswirken. Die Ergebnisse seien besorgniserregend: «Sie haben eine Substanz getestet, die bei 25 Grad null Mortalität hatte, bei 29 Grad jedoch 75 Prozent Mortalität. Das ist verheerend!»
«Reform der Zulassung ist nötig»
Die EMBL-Forscherinnen und -Forscher schlagen vor, dass die Technologie ihrer Studie künftig bei der Zulassung von Pestiziden eingesetzt werden könne. Nämlich als Testverfahren, um genauer als bislang zu ermitteln, wie giftig diese Stoffe für Insekten sind.
Auch Lukas Pfiffner begrüsst diese Idee – für die Schweiz: «Das Zulassungsverfahren hierzulande muss deutlich reformiert werden.» Bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln werden meist nur die tödlichen Effekte berücksichtigt. Künftig müssten auch nicht-tödliche Effekte aller Pestizide auf verschiedene Organismen sauber erfasst werden.
Für Experten wie Lukas Pfiffner ist dies ein wichtiger Schritt, um den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft zu verringern und vermehrt auf Alternativen zu setzen. Denn die gebe es, und sie funktionierten.