Das Wichtigste in Kürze
- Der Mensch schleppt seit 7000 Jahren fremde Pflanzenarten ein.
- Neue Pflanzen bereicherten die Artenvielfalt enorm.
- Deshalb sind auch neue Arten schützenswert.
Eingewanderte Pflanzen haben einen schlechten Ruf. Sie breiten sich aus und stehlen einheimischen Arten den Lebensraum – so die landläufige Meinung. Was für manche Neuankömmlinge zutrifft, gilt aber nicht für alle.
Viel häufiger fanden neue Pflanzenarten bislang einen Platz, ohne die bereits vorhandene Flora zu verdrängen. Sie bereicherten die Artenvielfalt sogar.
Weil eine hohe Biodiversität ein wertvolles Gut ist, seien auch diese Pflanzen schützenswert, sagt Peter Enz, der Leiter des Botanischen Gartens Zürich. Die heutige Schweizer Flora sei überhaupt erst durch neue Pflanzen entstanden.
Ohne Mensch gäbe es nur Wald
Ein grosser Teil unserer Flora würde heute nicht existieren, wäre der Mensch nicht gewesen. Ohne uns wäre die Schweiz mit einem einzigen Wald bedeckt - nur gelegentlich unterbrochen von Seen oder Moorlandschaften. Platz für Blumen und Ackerkräuter gäbe es kaum.
Erst die Pfahlbauer, die vor rund 7'000 Jahren sesshaft wurden, änderten dies. «Sie rodeten Wald und schufen Äcker und Weiden», sagt Peter Enz. Statt einheimischer Gräser säten die Pfahlbauer ertragreichere Getreidesorten aus Vorderasien, die mehr Körner pro Ähre trugen.
Als Unkraut in die Schweiz gekommen
Doch das Saatgut, das unsere Vorfahren importierte, war verunreinigt – mit unzähligen Acker- und Wiesenblumen. Die Samen des Ackerunkrauts Feuerrotes Blutströpfchen beispielsweise waren gleich gross und unterscheiden sich kaum von den Getreidekörnern.
So gelangte die zierliche Blume, die acht scharlach- bis blutrote Blütenblätter und ein dunkelviolettes Zentrum trägt, als Unkraut nach Europa. Das Blutströpfchen entwickelte sich in den neu geschaffenen Nischen, den Äckern, prächtig und wurde für Jahrtausende heimisch.
Heute sind sie selten geworden
Auf diese Weise brachte der Mensch während Jahrtausenden neue Pflanzenarten in die Schweiz. Nicht nur unabsichtlich, oder weil sie besonders schmackhaft waren: Einige Pflanzen waren wegen ihrer heilenden Wirkung begehrt, manche auch, weil sie besonders hübsch waren.
Im 20. Jahrhundert allerdings machten die intensive Landwirtschaft und die chemischen Unkrautvertilger vielen Neuankömmlingen beinahe den Garaus. Heute sind viele so selten, dass sie speziellen Schutz benötigen.
Jede dritte Art ist gefährdet
Von den 2600 offiziell als heimisch akzeptierten Pflanzen (siehe Box) ist unterdessen jede Dritte gefährdet. 111 Arten sind akut vom Aussterben bedroht.
«Seltene Arten sind häufig nicht gross, orange und blau, sondern klein und unscheinbar», sagt Peter Enz. Man müsse schon hinknien, um die Schönheit der Pflanze zu realisieren.
Den meisten Bauern ist gar nicht bewusst, dass auf ihren Feldern seltene Pflanzen gedeihen. «Deshalb werden sie übersehen, umgepflügt, gemäht oder wurden früher weggespritzt», sagt Peter Enz.
Botanische Gärten sorgen vor
Ist eine Art erst einmal ausgelöscht, kann man sie nicht ohne weiteres zurückholen. «Ich kann eine ausgestorbene Pflanze nicht irgendwo aufstöbern, wo sie noch sehr geläufig ist und hier ausbringen», sagt Peter Enz. «Das würde der Kanton nie erlauben.» Zu gross sei die Gefahr, dass man wieder neue Arten oder sogar neue Pflanzenkrankheiten einschleppe.
Deshalb sorgen die Botanischen Gärten vor. Sie haben bereits seit einer Weile begonnen, die seltenen Arten zu pflanzen und Samensammlungen davon anzulegen. So können Arten, die verschwinden, später vielleicht wieder angesiedelt werden.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Wissenschaftsmagazin, 26.6.2017, 12:40 Uhr