Steinpilze, Champignons oder Eierschwämmli – meist sind uns nur die Speisepilze mit Hut und Stiel vertraut. Aber das Reich der Pilze ist weit grösser. Es umfasst weltweit geschätzt 1,5 Millionen Arten.
Sie leben auf unseren Füssen, in Pflanzen und Tieren. «Pilze gibt es einfach überall», sagt Reinhard Berndt, Leiter der Pilzsammlung der ETH Zürich.
Pilze befallen Insekten
Was die Pilze ausmacht, sind kleinste fädige Strukturen, die sogenannten Hyphen, mit denen sie sich ausbreiten. Einige Pilzarten haben sich darauf spezialisiert, in Insekten zu leben.
Eine dieser Arten besiedelt zum Beispiel die sogenannte 24-Stunden-Ameise im tropischen Südamerika. «Die Ameise heisst so, weil ihr Biss, einen ganzen Tag lang schmerzt», erklärt Berndt
Er hat das selber erlebt und sich entsprechend gefreut, als er auf einer seiner Forschungsreisen eine solche Ameise fand – tot. Sie lag am Boden und aus ihrem Nacken wuchs ein langer Faden, an dessen Ende der Pilz die Sporen bildete. So kann sich der Pilz auf die nächsten Ameisen übertragen.
Pilze steuern sogar Stubenfliegen
Noch perfider ist der einheimische Fliegentöter-Pilz: Er breitet seine Pilzfäden in Stubenfliegen aus. Bevor die Fliegen sterben, bewegt der Pilz sie dazu, auf einen höheren Punkt zu klettern, etwa auf einen Grashalm. «Dort sterben die Fliegen ab», erläutert Berndt. «Dann quillt der Hinterleib der Fliege auf und aus den weichen Teilen bricht der Pilz hervor, der seine Sporen optimal aus luftiger Höhe verbreiten kann.»
Nicht nur das: Der angeschwollene Hinterleib der Fliegen wirkt zudem attraktiv für Fliegenmännchen. Die versuchen, die toten Tiere zu begatten und infizieren sich so mit den Pilzsporen.
Pilz wechselt ins Winterquartier
Reinhard Berndt betreut an der ETH eine Pilzsammlung mit etwa einer Million Exemplaren. Forscher aus aller Welt greifen zurück auf dieses Archiv, um ökologische und andere Fragen zu klären. «Wann sind bestimmte Pilzarten eingewandert, wann sind sie seltener geworden – solche Fragen kann man oft nur klären, wenn man getrocknete Pilzexemplare aus verschiedenen Zeiten und Regionen im Archiv hat», so Berndt.
Er selbst hat sich vor allem auf Rostpilze spezialisiert. Das sind Pilze, die in Pflanzen leben und von deren Nährstoffen zehren. Bei starkem Befall leiden die Pflanzen. Bauern mögen Rostpilze deshalb nicht, Reinhard Berndt hingegen schon.
«Das sind äussert raffinierte Pilzarten, die über das Jahr hinweg oft ihren Wirt wechseln.» Im Fall des Birnengitterrosts ist das Sommerquartier das Blatt des Birnbaums. Orange runde Punkte auf der Blattoberfläche verraten den Pilz.
Im Herbst wechselt der Pilz auf den chinesischen Wacholder, der bei uns in sehr vielen Gärten wächst.
Pilz verbreitet sich mit dem Wind
Der Wechsel vom Birnbaum auf den Wacholder und wieder zurück erfolgt über die Sporen. Im Herbst bilden sich auf der Blattunterseite der betroffenen Birnbaumblätter ein Fruchtkörper. «Wie ein kleines Spitzchen schaut es unten raus», sagt Berndt, «dann zerfasert es, die Sporen kommen heraus und verbreiten sich mit dem Wind».
Umgekehrt kann man im Frühling am chinesischen Wacholder beobachten, wie sich an den Ästen orange gallertartige Lappen als Sporenlager bilden. All das vollzieht sich unter unseren Augen, rund um die Häuser, aber kaum jemand schaut genau hin.
«Dabei gibt es kaum einen Rostpilz, der auffälliger ist als der Birnengitterrost», sagt Berndt. Allein in der Schweiz gibt es gut 500 Rostpilzarten. Meist sind sie nur klein und unscheinbar – aber unterschätzen sollte man sie nicht, die Pilze.