Das Wichtigste in Kürze
- An Bord von Frachtschiffen wurde die Schwarzmeergrundel vor einigen Jahren in den Rhein eingeschleppt.
- Forscher beobachten besorgt, wie sich die Grundeln rasant vermehren, während immer mehr einheimische Fische verschwinden.
- Flöhe und Muscheln haben sich durch die globalisierte Schifffahrt im Rhein bereits überall verbreitet.
Am Rheinufer bei Schweizerhalle liegt ein grünes Gummiboot im Wasser. Vier Forscher knien darin. Hinten ein Mann am lärmigen Generator, vorne Peter Rey, der Leiter des Forschungsinstituts Hydra aus Konstanz. Seiner Kollegin am Ufer ruft er zu, was er vor sich sieht oder mit dem Kescher fängt.
«2, 10 bis 15 schwarz» – will heissen: zwei Schwarzmeer-Grundeln mit einer Grösse zwischen 10 und 15 Zentimetern. Die Kollegin am Ufer führt Buch.
Die Forscher fischen mit Strom, der vom Generator hinten am Boot in die Kathode fliesst. Vorne am Kescher, um die Anode, bildet sich ein elektrisches Feld. Die Jungfische am Ufer werden wie magisch angezogen. Betäubt schweben sie zum Kescher oder zu Boden. Peter Rey erwischt nicht alle, aber nun doch wieder: «10 Stück, 0 bis 5.»
Fast nur noch Grundeln im Netz
Nach knapp 30 Metern minutiösem Abfischen machen Rey und seine Kollegen Mittagspause. Sie haben schon mehr als 120 Grundeln gefangen.
Vor sechs Jahren fischten sie hier mit derselben Methode 19 einheimische Fischarten. Damals fanden sie die ersten Schwarzmeergrundeln. Heute hat sich das Bild dramatisch verändert: Etwa 9 von 10 der gefangenen Jungtiere sind Schwarzmeergrundeln. Es hat nur noch ganz wenige einheimische Jungfische. Ein Drittel der einheimischen Arten sind verschwunden.
«Man kriegt schon ein wenig Angst, wenn man das sieht», sagt Peter Rey:
Rabiate Kämpfer – mit Appetit
Schwarzmeergrundeln fressen gerne die Eier anderer Fische. Auch Jungfische verschmähen sie nicht. Und: sie verteidigen ihr Unterwasser-Territorium ziemlich rabiat.
«Sie verhalten sich sehr aggressiv, auch untereinander», beobachtet Rey: «Wenn man sieht wie die Grundeln miteinander kämpfen und andere Fische verscheuchen, kann auch das ein Grund sein, weshalb die anderen Jungfische verschwinden. Sie müssen nicht unbedingt alle gefressen worden sein.»
Ursprünglich waren die Schwarzmeergrundeln in der Donau zu Hause. Mit der Eröffnung des Rhein-Main-Donau-Kanals 1992 begann sich der Fisch über das Ballastwasser, das die Frachtschiffe mit sich führen, auszubreiten.
Peter Rey erklärt: «Mit der Verbindung zwischen Donau und Rhein ist das Kanalsystem durchgängig. Auch die Welt unter Wasser ist globalisiert.»
Kleine gegen Kleine
Nebenan, nicht weit vom Ufer, beugt sich Johannes Ortlepp über eine Plastikwanne mit Rheinwasser. Mit einer Pinzette fährt er durch die Steinchen im Boden der Wanne und sucht nach kleinen Lebewesen. Ein Flohkrebs wirbelt durchs Wasser und versucht sich zu verstecken.
Ein Höckerflohkrebs, bemerkt Ortlepp: «Das ist einer, der eingeschleppt wurde durch die Schifffahrt und der sich hier sehr gut ausbreiten konnte.»
Auch diese Art erachten die Biologen als problematisch. Die Zahl der Höckerflohkrebse nimmt stark zu – und die Wissenschaftler machen ihn verantwortlich für den massiven Rückgang der anderen Kleinlebewesen im Rhein.
Globetrotter unter den Muscheln
Ortlepp dreht sich einer anderen Plastikwanne zu, mit einem Haufen kleiner Muscheln: «Die Körbchenmuscheln aus Ostasien ist zu Nahrungszwecken mit Auswanderen in die USA gebracht worden.» Von dort gelangte sie, ebenfalls über Schiffe, nach Europa.
Tief unten im Rheinbett gibt es unterdessen richtige Muschelbänke: Bis zu 100 Kilogramm Körbchenmuscheln pro Quadratmeter haben die Forscher gewogen. Diese Art füge sich besser ein, sagt Ortlieb.
Wie bei vielen anderen Arten sei die explosionsartige Vermehrung zwar eindrücklich. «Aber sie regelt sich meist im Lauf der Jahre. Es kommen Räuber, Krankheiten, Parasiten und der Bestand normalisiert sich.»
Keine vergleichbare Invasion
Das Mittagessen ist zu Ende. Peter Rey und seine Kollegen ziehen wieder ihre Schwimmwesten an. Werden die vielen, vielen Schwarzmeergrundeln auch mal wieder weniger werden?
Rey scheint ziemlich ratlos. Und das, obwohl sich kaum einer besser auskennt. Seit 30 Jahren erforscht er die Tierwelt des Rheins intensiv: «Man hat keinen Vergleich. Diese massive Invasion in ein schiffbares Flusssystem wurde in diesem Masse noch nirgends in Europa beobachtet.»
Aber Rey hofft weiter. Er packt den Kescher, klettert wieder ins Gummiboot und gibt das Zeichen zum Weiterfischen.
Sendung: Radio SRF, Echo der Zeit, 23.11.17, 18:00 Uhr