Lautstark und zu Tausenden machen sie ihrem Unmut Luft – Stadtimkerin Anna Hochreutener hat gerade die Honigräume vom Bienenstock gehoben. Nun ist das Gesumme rund um den Stock auf einem Dach mitten in Zürich gross. Die Honigbienen fühlen sich gestört. Sie wollen den gesammelten Pollen und Nektar eintragen und Honigwaben füllen. Aber jetzt ist ihr Zuhause kurzzeitig auseinandergebaut und sie müssen warten.
Behutsam zieht Anna Hochreutener eine Wabe aus einem der Honigräume, betrachtet sie kurz und strahlt. «Das ist der Traum jeder Imkerin um die Jahreszeit. Eine volle Honigwabe», schwärmt sie.
Ideale Bedingungen für Bienen in der Stadt
Es ist Mitte Mai und überall blüht irgendetwas. Ein Paradies für Bienen. Gerade in der Stadt sind die Bedingungen für die emsigen Insekten sehr gut. Von März bis September gibt es eine grosse Vielfalt an Blühpflanzen, kaum Pestizide und keine Monokulturen, die nur kurz Futter im Überfluss liefern, aber nach der Ernte zur grünen Wüste werden.
Doch auch das beste Buffet ist irgendwann leer gegessen – und genau das könnte in naher Zukunft drohen, zeigt eine aktuelle Untersuchung der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL. «In vielen Schweizer Städten nimmt die Menge der Nahrungsressourcen nicht im gleichen Tempo zu wie die Zahl der städtischen Bienenhalter. Das könnte zu Problemen führen – für die Honigbienen selbst, aber auch für andere bestäubende Insekten», erklärt Biologe Joan Casanelles Abella. Sollte der Trend weiter anhalten, droht den Bienen – egal welcher Art – in Zukunft ein Futterengpass.
Konkurrenz zwischen Honigbiene und Wildbiene
Honigbienen und Wildbienen ernähren sich von Nektar und Pollen. Doch die Übermacht an Honigbienen in vielen Städten führt zu Verdrängung. Allein in einem Bienenstock leben bis zu 50'000 Honigbienen. Wildbienen dagegen sind Einzelgänger.
Anders als Honigbienen – weltweit gibt es so viele wie noch nie – stecken Wildbienen tatsächlich in der Krise. Allein von den insgesamt etwa 620 Arten in der Schweiz gilt fast die Hälfte als bedroht. Es bestehe ein gewisses Missverständnis, was das Verschwinden der Bienen angehe, erklärt Joan Casanelles Abella. «Der Fokus vieler Menschen liegt auf den gemanagten Bestäubern, den Honigbienen. Diese können leicht ersetzt und geschützt werden. Andere Bestäuber – wie Wildbienen – haben keine so guten Anwälte. Dabei sind sie besonders gefährdet.»
Anstatt also für immer mehr Honigbienen in den Städten zu sorgen, wäre es deutlich sinnvoller Wildbienenförderung zu betreiben. Gut geeignet sind sogenannte Wildbienengärten mit einem speziell auf die verschiedenen Wildbienenarten zugeschnittenen Angebot an Blühpflanzen und Nistmöglichkeiten. Diese fehlen häufig inmitten der Betonwüste.
Das sieht auch die Stadtimkerin so: «Es hat keinen Sinn, wenn es plötzlich so viele Imker gibt. Vor allem so viele, die gerade anfangen mit Bienenhaltung, weil sie das Gefühl haben, sie tun der Natur etwas Gutes.» Schlauer wäre es eigentlich, sie würden ein schönes Wildbienenprojekt angehen, Nistplätze fördern, Blumen pflanzen, das dann allen zugutekommt und weniger auf die Honigbiene setzen.
«Save the bees» – aber richtig!
Im Moment kann jede und jeder, der will, einen Bienenstock aufstellen. Dieser muss lediglich gemeldet werden. Eine Bewilligungspflicht gibt es nicht. Auch eine Ausbildung zum Imker oder zur Imkerin ist nicht nötig. Sowohl der Forscher als auch die Stadtimkerin befürworten daher eine stärkere Regulierung.
Die Artenvielfalt – nicht nur die der Bienen – ist weltweit bedroht, sich hierfür zu engagieren, ist in jedem Fall sinnvoll. Doch der gute Wille ist das eine, die richtige Umsetzung das andere. Das sich dabei einiges falsch machen lässt, zeigt sich ausgerechnet am Boom der Stadtimkerei – dem vermeintlichen Aushängeschild der Bienenhilfe.