Vom Dach des Primatenforschungszentrums in Leipzig hat man einen wunderbaren Blick in die Aussengehege des Zoos. Man sieht die streitlustigen Schimpansen, die ruhigen Gorillas, die entspannten Bonobos und die einzelgängerischen Orang-Utans.
Hierher geführt hat mich der Psychologe Daniel Hanus. Er ist wissenschaftlicher Koordinator am Primatenforschungszentrum der Max-Planck-Gesellschaft in Leipzig.
Langzeitforschung an unseren Verwandten
Seit mehr als 15 Jahren untersuchen Forschende hier das Verhalten der vier grossen Menschenaffenarten. Wir treten hinaus an den Rand des Flachdaches. «Das hier ist die grösste unserer Anlagen», sagt Daniel Hanus.
Vor uns liegt das Schimpansengehege mit Bäumen, Gebüschen und verschiedenen Kletteranlagen. Direkt unter uns fläzt ein halbes Dutzend Schimpansen im Schatten und macht Mittagsruhe.
Ferngespräch unter Orang-Utans
Plötzlich hallt ein lautes, rhythmisches Rufen durch den Zoo Leipzig, dem das Primatenforschungszentrum angegliedert ist. «Bimbo, das Orang-Utan-Männchen, will sich bemerkbar machen», grinst Daniel Hanus. «Was wir da hören ist ein sogenannter long-distance-call.» Diese weit herum hörbaren Rufe setzen die Affen beispielsweise dazu ein, um ihre Artgenossen zu warnen.
Das ist besonders wichtig für wildlebende Tiere, da sie einander im dichten Wald oft nicht sehen können. Solche Warnrufe setzen die Tiere auch leise abgestuft ein, wie jüngst erst bei Schimpansen in Uganda beobachtet wurde.
Koko, das Sprachwunder
Trotz der beeindruckenden Lautsprache konzentriert sich die Forschung bei den Menschenaffen weniger auf das Schnattern und Brüllen, sagt Daniel Hanus: «Wir untersuchen hier vor allem die Gesten der Menschenaffen, denn über die Gesten scheinen die Tiere eine grössere Kontrolle zu haben als über ihre Laute.»
Die Vermutung, dass Gesten in der Kommunikation von Affen eine wichtige Rolle spielen könnten, kam schon vor einigen Jahrzehnten auf, erinnert sich Simone Pika. Die Biologin hat selber mehrere Jahre mit den Menschenaffen im Leipziger Zoo geforscht.
«In den 1960er- und 70er-Jahre haben Primatenforschende versucht, den Affen eine abgewandelte Form der Gebärdensprache beizubringen.» Das wohl berühmteste Beispiel dafür war das Gorilla-Weibchen Koko, das vor wenigen Wochen starb.
Mit und von Koko lernen
Geboren 1971 im Zoo von San Francisco, wurde sie ab einem Alter von sechs Monaten intensiv von der Psychologin Francine Patterson betreut und trainiert. So kam es, dass Koko nach einigen Jahren über ein beeindruckendes Repertoire an Gebärden verfügte und gemäss Angaben ihrer Betreuerin etwa 2000 Wörter Englisch verstehen konnte.
Nach Meinung vieler Wissenschaftler war Koko eine Ausnahmeerscheinung unter den Menschenaffen. Sie war aber auch der lebende Beweis dafür, dass unsere nächsten Verwandten prinzipiell lernen könnten, auf erstaunlich raffinierte Weise mit uns Menschen zu kommunizieren. Für Simone Pika bedeutet das: «Je mehr wir forschen, desto kleiner wird der Unterschied zwischen Menschen und Tieren.»
Planende Schimpansen
Am Primatenforschungszentrum wurden in den letzten Jahren die Schimpansen besonders intensiv untersucht – eine Gruppe aus 20 Männchen, Weibchen und Jungtieren. Dadurch sind verschiedene Überzeugungen in der Primatenforschung widerlegt worden – zum Beispiel, dass nur der Mensch die Fähigkeiten besitze, in die Zukunft zu planen.
«Lange Zeit dachte man, Tiere könnten das nicht – sie würden im Hier und Jetzt leben, wären quasi gefangen in der Gegenwart», so der Psychologe Daniel Hanus. «Mittlerweile weiss man, dass dem nicht so ist.»
In bestimmten Experimenten beobachte er dennoch erstaunliche Unterschiede zwischen den Menschenaffen und uns Menschen. Bei einem dieser Experimente mussten zwei Schimpansen koordiniert an einem Seil ziehen, um an eine Banane zu gelangen.
«Die Schimpansen konnten dieses Experiment nach einer Weile lösen. Aber sie kamen in keinem Moment auf die Idee, einander mit hilfreichen Tipps zu unterstützen. Das würden kleine Kinder völlig automatisch tun.»
Der Schlüssel
Verschiedene Forscherinnen und Wissenschaftler vermuten heute, dass Kooperation ein Schlüssel dafür war, dass der Mensch eine so komplexe Sprache entwickeln konnte.
Für Daniel Hanus ist das eine naheliegende Theorie: «Schauen Sie sich hier doch mal um: ich würde nicht in den Schimpansenkäfig fallen wollen. Die sind alle viel stärker und schneller als ich. Wir Menschen mussten da unsere Nische suchen – und offensichtlich war es unsere Nische, zusammenzuarbeiteten.»
Die Biologin Simone Pika ist sich sicher, dass in den nächsten Jahren noch viel Neues gefunden wird darüber, wie komplex die Menschenaffen miteinander kommunizieren. Aber dennoch ist sie überzeugt: «Das was der Mensch mit seiner Sprache anstellt – abstrakte Themen besprechen, in Bildern denken, sich selber reflektieren – das finden wir so bei keiner anderen Spezies.»