1816 ging als das «Jahr ohne Sommer» in die Geschichtsbücher ein. In der Schweiz regnete es in Strömen. Die Ernten fielen aus und es kam vor allem in der Ostschweiz zu einer grossen Hungersnot.
Es waren die Klimafolgen des Ausbruchs des Tambora, eines Vulkans in Indonesien, im Jahr 1815. Das Ereignis galt bisher als grösster Vulkanausbruch der letzten 10'000 Jahre. Bis Klimaforscher eine überraschende Entdeckung machten.
Archiv der Vulkangeschichte
«Unterdessen wissen wir, dass es in den letzten 10'000 Jahren 19 Vulkanausbrüche gab, die noch grösser waren als der des Tambora», sagt Michael Sigl, Professor am Oeschger-Institut für Klimaforschung der Universität Bern.
Herausgefunden haben das die Forscher anhand von Eisbohrkernen aus der Arktis und der Antarktis. Denn die feinsten Teilchen eines grossen Vulkanausbruchs werden weit in die Atmosphäre geschleudert und verbreiten sich über die ganze Welt.
Mit dem Niederschlag kommen sie später wieder runter. Noch Tausende von Jahren später können die Partikel deshalb im Eis der Polkappen nachgewiesen werden.
Handarbeit im Eislabor
Das Eislabor an der Universität Bern ist eins der zwei Labore weltweit, die Analysen von Vulkanspuren in Eisbohrkernen machen können. Michael Sigl zieht eine dicke Jacke an und öffnet die Tür zum Labor. Minus 20 Grad ist es hier.
Aus einer Styropor-Kiste holt er einen in Plastik verpackten, säuberlich beschrifteten Eisbohrkern aus Grönland heraus: «Diese Bohrstück hier kommt aus einer Tiefe von 1200 Metern. Das heisst, das Eis ist etwa 8000 Jahre alt.»
Mit einer Bandsäge schneidet er den durchsichtigen Eiszylinder der Länge nach zu und setzt ihn in eine Apparatur, in der das Eis von unten her erwärmt wird. Langsam, Zentimeter um Zentimeter schmilzt das jahrtausendealte Eis.
Das Wasser läuft über Schläuche in ein Analysegerät mit zahllosen Drähten, Steckern und Messeinheiten. «Das ist Marke Eigenbau», sagt Sigl, «so eine Maschine können Sie im Handel nirgends kaufen».
Ein Puzzlespiel aus Schwefel und Asche
Sigl interessiert sich für die Schwefelpartikel, die sich in den Eisschichten messen lassen. Gibt es in einem Jahr viele solcher Partikel, weiss er, dass irgendwo auf der Welt ein grosser Vulkan ausgebrochen ist – oder auch mehrere.
Findet der Forscher dazu noch Aschepartikel, lässt sich sogar präzise sagen, welcher Vulkan ausbrach. Obwohl sie so klein sind wie Feinstaub, lassen sich diese Ascheteilchen chemisch genau einer bestimmten Ausbruchstelle zuordnen – auch Jahrtausende später.
So entsteht ein Archiv der Vulkanausbrüche, das 60'000 Jahre zurückgeht. Und es wird immer genauer.
Die Forscher wissen nun, dass grosse Ausbrüche in der Vergangenheit häufiger waren als erwartet. «Das bedeutet umgekehrt», sagt Sigl, «dass auch die Häufigkeit, mit der das wieder passieren wird, grösser ist, als wir bisher dachten.»
Sendung: Radio SRF 2, Kontext, 28.1.2020, 9:02 Uhr