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Vor dem Aussterben retten «Der Pflanzenschwund ist dramatisch»

Nicht nur Tiere wie Lachse oder Luchse werden in der Schweiz wieder angesiedelt. Die Botanischen Gärten machen dasselbe auch mit bedrohten Pflanzen.

Ein Drittel der Schweizer Pflanzenarten ist gefährdet. Und davon wiederum ein Drittel ist vom Aussterben bedroht. «Es sind so viele, dass wir gar nicht alle retten können», sagt Gregor Kozlowski.

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Pflanzliche Auswilderung: Eine Reportage aus dem Moor
aus Wissenschaftsmagazin vom 05.05.2018. Bild: Wikimedia / Kritian Peters / Fabelfroh
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Er ist der wissenschaftliche Leiter des Botanischen Gartens der Universität Freiburg und ein Pionier auf dem Gebiet des Auswilderns wilder Pflanzen. Alle grösseren botanischen Gärten der Schweiz sind unterdessen an den Aktionen beteiligt. Mehr als 100 Pflanzenarten haben sie insgesamt schon ausserhalb ihrer Gärten angepflanzt.

Die Kleine Teichrose: ein Relikt der Eiszeit

Die Kleine Teichrose ist ein prominentes Beispiel: eine Seerosenart mit kleinen gelben Blüten. Diese Art war in früheren Jahrtausenden, als die Schweiz noch stärker vergletschert war, weit verbreitet. Jetzt kommt sie hier nur noch in vier kleinen Alpenrandseen vor. In Skandinavien ist sie noch häufiger anzutreffen. Warum also ist es so wichtig, sie auch hier zu schützen?

Eine Kleine Teichrose.
Legende: Die Kleine Teichrose (Nuphar pumila) kommt in der Schweiz nur noch in vier kleinen Alpenrandseen vor. Gregor Kozlowski

«Es geht darum, einen möglichst grossen genetischen Pool zu erhalten», sagt Kozlowski. Weil sich die Kleine Teichrose in der Schweiz und im Norden Europas über Jahrtausende unterschiedlich entwickelt hat, ist die Genetik sehr verschieden. Die Unterschiede sind grösser, als wir Menschen uns genetischen voneinander unterscheiden.

Viele genetische Varianten erhalten zu können, sei aber entscheidend für das Überleben einer Pflanzenart, sagt Kozlowski. «Stellen Sie sich vor, die Menschen sterben aus auf diesem Planeten und irgendeine andere Spezies entscheidet sich, nur die Schweizer oder nur die Chinesen zu retten. Das wäre eine totale Verarmung.»

Welche Arten soll man retten?

Wie aber entscheiden die Botaniker, welche bedrohte Pflanzenarten bei der Rettung Vorrang haben sollen? Zentral ist für sie die Verbreitung. Kommt eine Art nur hierzulande vor, wie das Berner Sandkraut zum Beispiel, trägt die Schweiz eine hohe Verantwortung für diese Art.

Bild des Berner Sandkrauts. Die Art ist weiss und hat runde Blüten.
Legende: Das Berner Sandkraut (Arenaria bernensis) ist auf Berggipfeln zu finden – zu 90 Prozent in den Freiburger Alpen. Gregor Kozlowski

Andere Pflanzenarten hingegen, die hierzulande zwar immer seltener werden, aber im europäischen Umland noch häufig sind, bekommen eine niedrigere Priorität.

Das Auswildern klappt nur in einem von zwei Fällen

Das Auswildern von Pflanzenarten ist aufwendig und lange nicht immer von Erfolg gekrönt. Nur in jedem zweiten Fall klappt es. «Im internationalen Vergleich ist das sehr gut», sagt Botaniker Kozlowski.

Die Botanischen Gärten machen für jede Art einen eigenen Aktionsplan, der vom jeweiligen Kanton bewilligt werden muss. Dann besorgt sich – im Fall von Freiburg – der erfahrene Gärtner Benoit Clément Samen, Sporen oder Ableger der entsprechenden Pflanze und zieht daraus neue.

Benoit Clément bei der Auswilderung von Kammfarn.
Legende: Benoit Clément, der erfahrene Fachmann des Botanischen Gartens Freiburg, bereitet die Auswilderung des seltenen Kammfarn vor. Gregor Kozlowski

Je nach Art ist das unterschiedlich schwierig. Es gibt solche, bei denen es fast als unmöglich gilt. «Da ist sehr grosses gärtnerisches Können gefragt», sagt Kozlowski. Wenn die Pflanzen genügend gross sind, werden sie an Standorte gepflanzt, wo sie früher vorkamen.

Oft aber werden auch bestehende Standorte gestärkt, wie zum Beispiel beim Kammfarn, der nur in Mooren und Feuchtwiesen vorkommt. Gärtner Clément hat in drei Anläufen bisher etwa 40 Kammfarne in den Düdinger Mösern im Kanton Freiburg wieder ausgepflanzt. Dort, wo die letzten älteren Exemplare stehen. Sie werden bis zu hundert Jahre alt.

Bild eines Kammfarns.
Legende: Der Kammfarn (Dryopteris cristata) ist in der Schweiz beinahe ausgestorben, weil er nur in Moorgebieten wächst. Gregor Kozlowski

Mehr tun gegen den Artenrückgang

Aber solche Aussiedlungen sind nur möglich, solange es die entsprechenden Standorte überhaupt gibt. Der allergrösste Teil der Moore in der Schweiz wurde trockengelegt und den wenigen verbliebenen Gebieten geht es trotz Moorschutz nicht gut.

Botanica – Eine Initiative der Botanischen Gärten

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Wer mehr über die Auswilderungs-Aktionen der Botanischen Gärten wissen möchte, bekommt dazu im Rahmen der «Botanica» die Gelegenheit. Im Juni und Juli öffnen die Gärten ihre Türen und bieten schweizweit verschiedene Veranstaltungen dazu an. Mehr Informationen hier.

Schlimm sehe es auch auf ehemals ungedüngten trockenen Wiesen aus, sagt Botaniker Kozlowski: «Dort sind mit der intensiven Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten sehr viele Orchideen und andere Wiesenpflanzen verschwunden.»

Viel besser sieht es im Schweizer Wald aus und in den Alpen. «Aber insgesamt ist es dramatisch», sagt Kozlowski, der den Artenrückgang seit drei Jahrzehnten wissenschaftlich begleitet – und fügt hinzu: «Wir müssen unbedingt mehr tun, wenn wir die Schweizer Flora wirklich erhalten wollen».

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Wissenschaftsmagazin, 05.05.2018, 12.40 Uhr.

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