Zum Inhalt springen
Video
Brände in Südeuropa
Aus Tagesschau vom 26.07.2023.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 35 Sekunden.

Waldbrände Nach dem Feuer: Höhere Biodiversität im offenen Wald

Lodert es in einem Waldgebiet wie aktuell in Bitsch, werden Tiere und Pflanzen schlagartig vernichtet. Doch der Blick in die Vergangenheit zeigt: Arten kommen rasch zurück und gar in grösserer Vielfalt auf als vorher.

Von Rhodos bis nach Bitsch stehen Waldgebiete in Flammen. Die Natur wird schlagartig zerstört. Doch wie fatal sind solche Feuer für die Wälder auf lange Sicht? «Vorerst entsteht ein riesiger Schaden, das ist klar: Schutzwald oder Nutzwald gehen verloren», sagt der Waldökologe Thomas Wohlgemuth von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Aber wie sich die Gebiete in den nächsten Jahrzehnten verändern, könne überraschen.

Seltene Arten erobern kahle Flächen

Das zeigt auch der Blick zurück: Nach einem der grössten Waldbrände in der Schweiz, wo sich oberhalb von Leuk vor 20 Jahren ein Feuer auf 300 Hektaren ausbreitete, strahlt die einst kahle Schneise heute grün. «Ökosysteme sind unterschiedlich resilient, das heisst sie können sich von sogenannten Störungen wie Waldbrände früher oder später erholen», erläutert Wohlgemuth.

Auf dem Bild ist der Waldbrand bei Leuk (2003) zu sehen.
Legende: Der Waldbrand oberhalb von Leuk im August 2003. Keystone / OLIVIER MAIRE

Nach einer solchen «Natur-Verletzung» verändern sich die Zusammensetzung und Vielfalt der Arten deutlich. Dabei ist der Boden als Keimgrundlage für die neue Generation ein wichtiger Faktor. Durch die Verbrennung der Humusauflage entsteht Asche: Der pH-Wert steigt dadurch an und kurzfristig stehen den neu ankommenden Pflanzen auch mehr Nährstoffe zur Verfügung. Sprich: Auf der offenen Fläche herrschen ganz andere Bedingungen als davor im schattigen und dichten Nadelwald.

So können nun Arten wachsen, die sich davor kaum durchsetzen konnten. Wohlgemuth und seine Mitarbeitenden entdeckten in Leuk unter anderem den seltenen Erdbeerspinat, eine ausgestorben geglaubte Kulturpflanze.  

Auf dem Bild ist Erdbeerspinat zu sehen.
Legende: Nach dem Waldbrand in Leuk wieder entdeckt: der seltene Erdbeerspinat. Imago Images / imagebroker

Vermutlich haben seine Samen im Boden überdauert und dann den richtigen Zeitpunkt gefunden, um an der Oberfläche zu spriessen. «Brände legen sozusagen das Biodiversitäts-Potenzial eines Gebiets frei», so der Experte. Ähnlich nach dem Waldbrand 1943 am Calanda bei Chur. Die seltene Pflanze namens Böhmischer Storchschnabel, die an ihren blauvioletten Blüten zu erkennen ist, konnte sich dort plötzlich ausbreiten.

Blütenmeer für Insekten

Von dem Blütenmeer und den Gräsern profitieren auch Käfer, Heuschrecken oder Bienen. «Ein faszinierender Prozess, wie Vielfalt noch mehr Vielfalt erzeugt.» So lautet die vielleicht leicht positive Nachricht der feurigen Katastrophen: Zeitweise ist die Biodiversität in den Brandgebieten deutlich höher als im angrenzenden intakten Wald.

Feuerliebende Tiere und Pflanzen

Box aufklappen Box zuklappen

Lebewesen, die vom Feuer profitieren und ihre Lebensweise an die Bedingungen von Brandstellen angepasst haben, werden als pyrophile Arten bezeichnet. Dazu gehören beispielsweise seltene Bockkäferarten, die sich bei brandgeschädigten Föhren und Fichten entwickeln. Im Tessin ist auf Brandstellen oft der Laufkäfer Sericoda quadripunctatum zu finden. Denn er ernährt sich von Insekten, die unter verkohlter Rinde leben.

Auch Pflanzen wie das Brandmoos breiten sich rasch auf den Brandstellen aus. In Leuk wuchsen das Wald-Weidenröschen oder der Färberweid, deren Sporen und Samen der Wind ins Gebiet trug. Und insbesondere auch der Erdbeerspinat, der zwei Jahre nach dem Feuer in sehr grosser Anzahl gefunden wurde.  Der seltene Böhmische Storchschnabel, der in grosser Anzahl auf dem Brandgebiet bei Calanda gefunden wurde, gilt ebenfalls als Feuerfolger. Diese feuerliebenden Tier- und Pflanzenarten gelten in der Schweiz als selten oder gar als gefährdet.

Beschönigen will der Waldökologe aber nichts. Denn mit den Waldbränden steige auch das Risiko für Bodenerosion und Steinschläge. Je nach Wetter, mit fatalen Folgen. Oberhalb von Leuk hatte man damals Glück und Starkregen blieben aus. Anders in Visp, wo 2011 rund 150 Hektaren Wald niederbrannten. Dort kam es noch im selben Jahr nach starken Niederschlägen zu einem Erosionsereignis, das die darunterliegende Kantonsstrasse betraf.

Bis nach Waldbränden wieder Bäume die Oberhand gewinnen, kann es mehrere Jahrzehnte dauern. Das Beispiel im Wallis von 2003 zeigt zudem, dass Flaumeichen und Lärchen einen Waldbrand deutlich besser überstehen als Waldföhren und Fichten.

Das machte den Schweizer Wäldern im letzten Jahr zu schaffen

Box aufklappen Box zuklappen

Laut dem aktuellen Waldschutzüberblick war die Witterung bereits im Vorjahr 2022 für die Schweizer Wälder eine grosse Herausforderung. Insbesondere im Sommer, in dem es besonders heiss und trocken war, wuchsen Bäume kaum. Und zwar um zehn bis 50 Prozent weniger im Vergleich zum Durchschnitt der letzten zehn Jahre. Zudem erlitten viele Bäume trockenheitsbedingte Schäden und das Laub färbte sich in Tieflagen des Unterwallis und im Mendrisiotto im Tessin schon früh im Jahr braun.

Wegen des wärmeren Klimas können sich Pilze wie Ahornstammkrebs und andere Arten aus südlicheren Gebieten rasch ausbreiten. Die neuen Schädlinge und Krankheitserreger bedrohen das Ökosystem im Wald, heisst es im Bericht der Kompetenzstelle Waldschutz der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) weiter.

So entdeckten Bürgerinnen und Bürger im Kanton Luzern den grössten Befall der Asiatischen Laubholzbockkäfer, der weltweit als besonders gefährlich gilt. Im Tessin haben Forstleute invasive Ambrosia- und Bockkäferarten. Vier der Käfer sind neue Funde hierzulande. Heimische Arten können sich teilweise kaum gegen die eingeschleppten Arten durchsetzen.

Welche Pflanzen und Tiere damit am besten zurechtkommen und welche Bäume im Wald der Zukunft stehen werden, wird den Waldökologen Thomas Wohlgemuth wohl noch länger beschäftigen. Denn die Regenerationsfähigkeit der Natur wird bei zunehmenden Extremereignissen immer wichtiger.

SRF 1, Tagesschau, 26.07.2023, 19:30 Uhr

Meistgelesene Artikel