Martin Entling marschiert mit einem laut knatternden Laubsauger über eine kleine Weise an der Universität Landau in Deutschland. Ein ungewöhnliches Arbeitsgerät für einen Biologen. Was der Professor für Ökosystemanalyse aufklaubt, sind aber keine welken Blätter. Über das Ende des armdicken Ansaugrohres ist ein feinmaschiges Baumwollnetz gespannt. Darin verfängt sich, was auf der Wiese kreucht und fleucht: ihre unscheinbaren Bewohner!
Entling kippt sein filigranes Fanggut am Ende über einem hellen Leinentuch aus, es wimmelt nur so: «Springschwänze, Käfer, Fliegen, Zikaden.» Und dann: «Ah, da läuft sie!»
Gestatten: Mermessus trilobatus, die Nordamerikanische Zwergspinne
Die Art, auf die er es abgesehen hat, ist klein und braun, knapp zwei Millimeter gross. Angst vor der Zwergspinne muss niemand empfinden, Ehrfurcht vor ihrem strammen Ausbreitungstempo aber vielleicht schon. Mehr als 40 Kilometer kommt der Winzling jedes Jahr voran – nicht zu Fuss, sondern im Flug: Das Federgewicht lässt sich mit dem Wind verdriften.
«Die Art wurde 1981 zum ersten Mal in der Nähe von Karlsruhe entdeckt», sagt Entling, «inzwischen ist sie in über 20 europäischen Ländern nachgewiesen.» Auch in der Schweiz. Dort fiel der Exot dem deutschen Spinnenexperten sogar zum ersten Mal auf. 2005 sei das gewesen, bei Freilandanalysen am Greifensee, in Schmerikon und an der Reuss.
Rätselhaftes Durchsetzungsvermögen
Wahrscheinlich reiste die erste Minispinne einst als blinder Passagier mit einem Transatlantikflieger über den grossen Teich. Heute kommt der agile Achtbeiner bei uns in «gewaltigen Zahlen» vor, wie der Spinnenexperte sagt: «Auf jeder Wiese und wahrscheinlich auch auf jedem Rasen.» Ein 1000-Quadratmeter-Garten beherberge bis zu 10'000 Exemplare. In ganz Europa seien es sicher Milliarden.
Mermessus trilobatus ist ein Phänonem. Als durchsetzungsstark gelten für gewöhnlich nur körperlich grosse Invasoren. Warum der Gnom dennoch so massiv vorrückt, ist für Entling nach wie vor ein Rätsel. Kapert der Zwerg fremde Netze und frisst deren Besitzerinnen? Wird er von Raubspinnen als fremdartige Kost verschmäht? Alles getestet, alles verworfen! Immerhin: Der Fremdling hat mehr Nachkommen als hier lebende Zwergspinnen. Vielleicht, sinniert Etling, «liegt da der Hund begraben.» Welche Folgen die Invasion für unsere Ökosysteme hat, ist auch noch unklar: «Niemand weiss, ob heimische Arten deswegen weniger geworden sind.»
So unbedeutend die ständig übersehene Einwanderin auch erscheinen mag: «Das ist ganz tolle Arbeit, die der Kollege Entling da macht», schwärmt Klaus Birkhofer, Professor für Ökologie an der Technischen Universität Cottbus, auch er erfahrener Spinnenforscher. Bei vielen invasiven Arten bestünden nämlich grosse Wissenslücken über ihren Ursprung und ihre Ausbreitung. Deshalb, so Birkhofer, «sind Arten, die sich immer noch stetig weiter ausbreiten, sehr, sehr spannend.»
Mal schauen, wie weit die Nordamerikanische Zwergspinne noch kommen wird.