«Ich denke, man kann mit Sicherheit sagen, dass niemand die Quantenmechanik versteht.» Diese Aussage stammt vom Nobelpreisträger Richard Feynman, einem der ganz Grossen der modernen Physik. Gemacht hat er sie 1964, doch sie lebt bis heute fort, in unzähligen Powerpoint-Präsentationen zum Thema Quantenphysik. Diesen berühmten Satz zu zitieren, macht sich einfach gut. Doch würden ihn Forscher auch heute noch unterschreiben?
Wundersame Quanten
Auf den ersten Blick lautet die Antwort: Ja. Denn die Welt des Mikrokosmos ist tatsächlich sehr merkwürdig. Sie ist bevölkert von Quanten-Teilchen, also zum Beispiel von Elektronen, von Lichtteilchen und von den sogenannten Quarks, aus denen Atomkerne bestehen. Diese kleinsten Teilchen verhalten sich nicht wie Äpfel, Stühle, Autos oder Fussbälle – nicht so, wie wir es von Dingen aus unserem Alltag kennen.
Die Teilchen können zum Beispiel auch Wellen sein. Sie können verschiedene Wege gleichzeitig nehmen und an zwei Orten gleichzeitig sein. Erst wenn wir sie messen, entscheiden die Teilchen, wo sie sind – und zwar völlig zufällig, als würde jemand würfeln. Dies geschieht auch, wenn wir die Welt betrachten; als erzeugten wir erst dadurch die Realität.
Man kann also nicht mit Sicherheit vorhersagen, wo sich ein Quanten-Teilchen befinden wird. Kommt hinzu, dass sich die winzigen Teilchen über grösste Entfernungen gegenseitig beeinflussen können, augenblicklich, fast telepathisch.
«Gott würfelt nicht»
Das klingt alles irgendwie unglaublich – und unglaublich kompliziert. Tatsächlich hatten schon die Gründerväter der Quantenphysik in den Anfängen des 20. Jahrhunderts schwer mit ihrer Theorie zu kämpfen. Der Däne Niels Bohr zum Beispiel meinte: «Wenn man nicht zunächst über die Quantentheorie entsetzt ist, kann man sie doch unmöglich verstanden haben.»
Auch Albert Einstein hatte seine liebe Mühe mit der Theorie. Er fand sie mystisch und widersprüchlich, und schrieb: «Es scheint hart, dem Herrgott in die Karten zu gucken. Aber dass er würfelt und sich telepathischer Mittel bedient, kann ich keinen Augenblick glauben.» Bis zum Ende seines Lebens hoffte Einstein, eine bessere Theorie zu finden.
Grundlage moderner Technik
Diese Suche nach einer besseren Theorie geht auch heute noch weiter, in der Physik und der Philosophie. Doch die Quantenphysik ist nicht mehr so umstritten wie zu Beginn. Eine grosse Mehrheit der Physiker akzeptiert sie, denn sie wurde hundertfach in Experimenten bestätigt. Auch in der Praxis hat sich die Theorie niedergeschlagen: Ohne die Quantenphysik gäbe es keine Laser, keine Computer, keine Nanotechnologie.
Verstehen Forscher heute also die Quantenphysik? «Man kann tatsächlich viel von der Theorie verstehen», sagt der Physiker Nicolas Gisin von der Universität Genf. Die Frage sei allerdings, was man mit Verstehen meine. «Wir glauben auch, die Schwerkraft zu verstehen, zum Beispiel dass Mond und Erde sich anziehen. Aber woher weiss der Mond eigentlich, wo die Erde ist?» Das sei gar nicht so leicht zu erklären, meint Gisin. Und doch haben wir das Gefühl, die Schwerkraft zu verstehen. Weil wir uns daran gewöhnt haben – von Kindsbeinen an. Weil wir tausendmal Dinge haben zu Boden fallen sehen.
Die Grenzen der Intuition
Die Quantenphysik hingegen entzieht sich unserer Wahrnehmung. Sie spielt sich in winzigen Dimensionen ab, ist nicht sichtbar und nicht erlebbar. Darum sei unsere Intuition mit der Theorie völlig überfordert, sagt Seth Lloyd vom Massachusetts Institute of Technology. «Auch meine Intuition sagt mir, dass Dinge nicht an zwei Orten gleichzeigtig sein können», so Lloyd. «Aber in der Quantenphysik können sie das nun mal. Wir wissen nicht, warum, aber es ist so. Gewöhnt euch daran!»
Weil Lloyd sich an die Quantenphysik gewöhnt hat, meint er, sie einigermassen gut zu verstehen. Auch für den Physiker Renato Renner von der ETH Zürich spielt die Gewöhnung eine wichtige Rolle fürs Verständnis. Prinzipiell könne man die Quantenphysik nicht erklären. Man können sie nur in eine Theorie fassen. «Ich verstehe die Natur, wenn ich sie mit meiner Theorie beschreiben kann», sagt Renner. Das kann er im Fall der Quantenphysik.
Die drei Professoren Gisin, Lloyd und Renner glauben also, die Quantenphysik verstanden zu haben, zumindest zu einem grossen Teil. Trotzdem verwenden wohl auch sie das Zitat von Richard Feynman ab und zu in ihren Referaten. Es macht sich einfach gut. Und es nimmt dem Publikum die Angst, dumme Fragen zu stellen.