«Im Moment rennen wir den Heliumlieferungen hinterher», sagt Sebastian Huber. Der Physikprofessor ist an der ETH Zürich für die Heliumversorgung zuständig. Viele Forschungsgruppen, etwa in der Quantenphysik, müssten sich derzeit einschränken. Denn das Edelgas ist unverzichtbar, um extrem tiefe Temperaturen zu erreichen. In flüssiger Form ist Helium -269 °C kalt und als Kühlmittel ideal.
Ausnahmesituation für die Forschung
Im letzten Oktober teilten die Heliumlieferanten mit, dass die ETH über Monate hinweg kaum neue Heliumlieferungen erwarten dürfe. Sebastian Huber ordnete zum ersten Mal überhaupt Einschränkungen an. Die meisten Forschungsgruppen mussten nun mit der Hälfte ihrer üblichen Heliummengen auskommen. So stand monatelang rund die Hälfte der Tieftemperaturexperimente still.
Im Moment rennen wir den Heliumlieferungen hinterher.
Zwar kommen seit Anfang Jahr wieder mehr Heliumlieferungen an. Ein Teil der stillstehenden Experimente kann wieder hochgefahren werden. Doch der ETH-Professor will noch nicht von einer Entspannung sprechen. Die Forschung sei in einer Ausnahmesituation, die ihn persönlich belaste.
Das Problem mit dem flüchtigen Gas
Dass Helium derzeit knapp ist, hat mit seinen flüchtigen Eigenschaften und mit einem Klumpenrisiko in der Förderung zu tun. Helium ist zwar das zweithäufigste Element im Universum, aber auf der Erde nur mühsam zu beschaffen.
Aus der Luft lässt es sich nicht gewinnen – einmal entwichen, steigt das leichte Gas hoch und verlässt die Erdatmosphäre. Helium muss also aus dem Erdinneren geholt werden, wo es als Produkt von radioaktiven Zerfällen entsteht. Profitabel fördern lässt es sich nur an wenigen Erdgasquellen, in denen die Heliumkonzentration hoch genug ist.
Ein perfekter Sturm
Genau hier liege das Problem, sagt Sebastian Huber. Der Grossteil der weltweiten Produktion stamme aus nur einer Handvoll Quellen. «Wenn eine dieser Quellen ausfällt, haben wir sofort ein Problem», sagt der ETH-Professor. Das ist 2022 mehrfach passiert: Eine Explosion in einer russischen Quelle, ein Leck in einer amerikanischen Quelle – und Wartungsarbeiten in einer katarischen Quelle legten die dortigen Produktionen lahm.
Wenn eine Quelle ausfällt, haben wir sofort ein Problem.
Aufgrund des Kriegs in der Ukraine stellte zudem die algerische Quelle die Art der Erdgasförderung um, weshalb dort seither weniger Helium als Nebenprodukt gefördert wird. Zusammen ergab das den perfekten Sturm.
Unverzichtbare Kühlung
Helium wird in der Forschung zum Beispiel zur Kühlung von supraleitenden Magneten eingesetzt. Ein Millionenschaden würde entstehen, falls die Kühlung dieser Magnete unterbrochen würde. Deshalb verhängte die ETH für diese Bereiche auch keine Liefereinschränkungen.
Helium sparen musste vor allem die Physik. Quantenmechanische Effekte lassen sich nur bei sehr tiefen Temperaturen messen. Viele dieser Experimente stehen ohne Helium zwar still, nehmen aber keinen Schaden.
Grundlagenforschung für Quantencomputer betroffen
So stehen etwa Experimente still, die erforschen, welche Materialien sich für den Bau der kleinsten Recheneinheit eines Quantencomputers, eignen können. In der Zwischenzeit müssen sich Forschende auf weniger Messungen beschränken und den Fokus auf andere Arbeiten legen.
Die Liefereinschränkungen mit Helium werden weiterbestehen. ETH-Professor Sebastian Huber rechnet damit, dass erst Mitte Jahr alle Experimente, die flüssiges Helium brauchen, wieder laufen können.