Schon lange können Forschende die Gene in unserem Erbgut lesen. Doch um herauszufinden, welche Funktion ein Gen hat, müssen sie das Erbgut kontrolliert verändern können. Solche Veränderungen brauchten früher viel Arbeit.
Doch dann haben die Französin Emmanuelle Charpentier und die Amerikanerin Jennifer Doudna eine Technik entwickelt, die es erlaubt, Gene einfach und gezielt zu verändern. Sie heisst CRISPR-Cas9 – und ist eigentlich ein Teil des Immunsystems von Bakterien.
Wie auch wir leiden Bakterien unter Virus-Erkrankungen. Wenn Viren ein Bakterium angreifen, pumpen sie ihr eigenes Erbgut in das Bakterium hinein. Ihr Ziel: Das Bakterium dazu bringen, das virale Erbgut abzulesen. Denn dadurch wird das Bakterium zur Viren-Fabrik umprogrammiert.
So wird der Viren-Angriff abgewehrt
Entkommt ein Bakterium diesem Schicksal, behält es ein kleines, ungefährliches Stück des viralen Erbguts und baut es an einer ganz bestimmten Stelle, die «CRISPR» genannt wird, in sein eigenes Erbgut ein.
Kopien dieser Viren-Gen-Schnipsel kann ein Protein namens Cas9 nun als Steckbrief nutzen: Es vergleicht den Schnipsel mit jedem Stück Erbgut, das sich in seiner Nähe befindet. Findet Cas9 eine Übereinstimmung, muss es sich um Erbgut eines Virus handeln, das sich versucht in die Zelle einzuschleichen. Cas9 reagiert prompt und zerschneidet das virale Erbgut. Angriff abgewehrt.
Die Natur als Werkzeug
Charpentier und Doudna entdeckten 2012, wie diese Genschere aus CRISPR und Cas9 funktioniert und wie sie sich steuern lässt. Damit lösten sie eine Welle von neuen wissenschaftlichen Errungenschaften aus.
Forschende aus aller Welt zeigen, dass man die CRISPR-Cas9-Genschere dazu benutzen kann, jedes beliebige Erbgut zu verändern. Man kann Gene ausschalten, indem man sie mit CRISPR-Cas9 zerschneidet. Man kann Zellen aber auch dazu bringen, am Ort, wo die Genschere einen Schnitt gesetzt hat, ein neues Stück Erbgut einzusetzen.
Rasend schnell wird die Genschere zum unverzichtbaren Werkzeug der Forschung. Die federführenden Forscherinnen werden nun – nur acht Jahre nach ihrer Entdeckung – mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.
Eine Innovation, die nicht für den Verkauf zugelassen ist
Heute kann man mit CRISPR-Cas9 ein erwünschtes Gen direkt in eine Pflanze reinkopieren. Das Resultat: neue Reis-Sorten, die gegen Pilzerkrankungen resistent sind. Tomaten, die länger haltbar sind. Mais, der Trockenheit besser übersteht. Bislang wachsen diese genveränderten Pflanzen jedoch nur auf Versuchsfeldern, für den Verkauf sind sie nicht zugelassen.
Auch das menschliche Genom lässt sich mit CRISPR-Cas9 verändern. Die Genschere wird beispielsweise in klinischen Versuchen eingesetzt, um Sichelzellanämie zu heilen, eine Erkrankung der Blutzellen.
Man entnimmt den Patienten Blutstammzellen und korrigiert das Gen, das die Erkrankung auslöst. Zurück im Körper produzieren die Blutstammzellen dann gesundes Blut. Wie lange der Effekt anhält, ist noch nicht sicher. Aber die Ergebnisse der klinischen Studien machen Hoffnung.
Macht erfordert Verantwortung
Doch es gibt auch Skandale. In China hat ein Forscher illegalerweise das Erbgut von Zwillingsmädchen vor ihrer Geburt so verändert, dass sie die genetischen Veränderungen – und die Fehler, die durch die Genveränderung passiert sein könnten – an ihre Kinder weitergeben. Da die Folgen des Eingriffs noch nicht absehbar sind, verurteilten Forschende und Ethiker die vorschnellen Experimente.
Mit der Macht, menschliche Gene zu bearbeiten, geht auch eine grosse Verantwortung einher. Es besteht breite Einigkeit, dass die Anwendung von CRISPR-Cas9 reguliert werden muss.