Die Erfinder der Bitcoins wollten ein neues System einführen, wie wir Geld von A nach B schicken können – unabhängig von Banken und Gebühren. Allerdings hat sich gezeigt, dass Bitcoins als eine neue Art Geld nicht wirklich taugen. Sobald zu viele Menschen mit Bitcoins bezahlen wollen, ist das System überlastet. Es wird langsam und es fallen hohe Gebühren für eine Bitcoin-Zahlung an.
SRF: Warum bleibt das Thema Kryptowährungen dennoch spannend für die Finanzindustrie?
Samuel Emch: Der Bitcoin hat in der Realität tatsächlich seine Probleme. Aber die Technologie dahinter, also die Blockchain, die besitzt von ihrer Grundidee her ein enormes Potential: Sie macht es prinzipiell möglich, digitales Geld ohne Transaktionskosten und in hoher Geschwindigkeit auf der ganzen Welt hin und her zu verschieben.
Ein Beispiel: Weltweit gibt es 260 Millionen Menschen, die einen Teil ihres Lohnes zurück in die Heimat schicken. Pro Jahr werden so umgerechnet 460 Milliarden Dollar nach Hause geschickt – das entspricht ungefähr der Wirtschaftsleistung von Belgien oder Polen. Damit fallen rund 30 Milliarden Dollar Gebühren an. Je rückständiger die Finanz-Infrastruktur im Heimatland, desto höher sind die Gebühren die WesternUnion oder Moneygram erheben.
Das heisst, diese Gebühren könnten entfallen, wenn die Blockchain-Technologie entsprechend weiterentwickelt und sich in der Branche durchsetzen würde?
Genau darin liegt das Potential – für uns Kundinnen und Kunden –, aber eben auch eine Gefahr für gewisse Finanzinstitute. Viele Finanz-Startups, aber auch etablierte Banken haben sich deshalb selber mit Blockchain-Technologien beschäftigt. Sie suchen ein neues Instrument für den Zahlungsverkehr. Die Banken versuchen, mit im Spiel zu bleiben, obwohl die Bitcoin-Grundidee sie eigentlich obsolet machen will.
Was muss ich mir darunter vorstellen, wie kann eine Blockchain Verträge in der Finanzbranche regeln?
Es gibt zum Beispiel bereits eine Versicherung auf Flugverspätungen, die mittels Blockchain funktioniert. Dabei ist in die Blockchain hineinprogrammiert, dass ein Passagier ab einer bestimmten Verspätung eine Rückvergütung bekommt. Sobald nun also ein Flugzeug gelandet ist, werden allfällige Ansprüche automatisch ausbezahlt – ohne, dass der Passagier aufwändige Rückforderungsanträge ausfüllen muss.
Nun liest man derzeit täglich von neu gegründeten Blockchain-Start-Ups. In Verbindung damit ist oft die Rede von sogenannten ICOs, Initial Coin Offerings. Was genau ist das?
Bei einem ICO verkaufen diese Start-Ups quasi einen Teil ihrer Firma in Form eines digitalen Coins. Der ICO hört sich nicht zufällig sehr ähnlich an, wie ein anderer Begriff aus der Finanzwelt: der IPO, Initial Public Offering, also der Börsengang. Allerdings sind der neue ICO und altbekannte IPO im Detail ziemlich unterschiedlich. Beim Börsengang ist klar: Der Käufer erhält eine Aktie, also einen Anteil des Konzerns.
Beim ICO hingegen gibt es verschiedene Möglichkeiten: Es kann sein, dass ein Käufer einen digitalen Coin kauft, der ziemlich ähnlich ist wie eine Aktie. Aber ein solcher Coin kann auch als eine Art Gutschein funktionieren: Der Käufer oder die Käuferin kann den Coin später dazu einsetzen, das Produkt der entsprechenden Firma zu nutzen. Und solche sogenannte «Nutzungs-Coins» unterscheiden sich aus Sicht der Finanzmarktgesetze wesentlich von aktienähnlichen Coins.
Solche Initial Coin Offerings sind international ziemlich in Verruf geraten. Es gab zahlreiche Fälle, bei denen ICOs für Geldwäsche oder kriminelle Geschäfte benutzt wurden, oder die Anleger schlicht um ihr Geld betrogen wurden. Wie sehen da die Regulierungen aus in der Schweiz?
Auch in der Schweiz hat man sich dem Thema angenommen. Konkret hat die Finanzmarktaufsicht Finma die ICOs untersucht und kam dabei zum Schluss, die bestehenden Finanzmarktgesetze würden für die Regulierung dieses neuen Phänomens ausreichen.
Die Finma hat auch mehrere Firmen, die einen Initial Coin Offering durchgeführt haben, auf eine Beobachtungsliste gesetzt. Eine Firma wurde bereits aus dem Verkehr gezogen, weil sie ohne Erlaubnis bankenähnliche und vermutlich auch betrügerische Angebote gemacht hatte. Da passiert also schon etwas in der Schweiz, aber im internationalen Vergleich sind die Behörde hierzulande sicher weniger restriktiv und kritisch.
Wirtschaftsminister Johann Schneider-Amann möchte ja gern, dass sich die Schweiz zu einer Krypto-Nation entwickelt. Birgt dieser doch sehr liberale Umgang mit Kryptowährungen nicht auch eine gewisse Gefahr?
Doch: Für Investoren besteht beispielsweise die Gefahr, dass sie ihr Geld verlieren, wenn sie in solche Firmen investieren. Hier setzen die Behörden auf Selbstverantwortung.
Warnende Stimmen meinen auch, dass die Schweiz mit dieser liberalen Haltung ein Reputationsrisiko eingehe: Weil Kryptowährungen anonym überwiesen werden können, könnten sie der Schweiz ähnliche Probleme bescheren, wie früher die anonymen Nummernkonten.
Diesbezüglich gehen die Behörden aber davon aus, dass sie mit den gängigen Gesetzen genügend Handhabe zur Kontrolle haben. Die Blockchain-Anhänger freuen sich über diese Einstellung. Viele ausländische Start-Ups verlegen ihren Sitz in die Schweiz, um hier ihren ICO durchzuführen.
Das Gespräch führte Cathrin Caprez