Seit einem schweren Sportunfall vor vier Jahren ist Thomas Krieg querschnittgelähmt. Jetzt trainiert der 32-Jährige für den Cybathlon 2020 der ETH Zürich. An einem Demo-Wettkampf im Zürcher Hauptbahnhof trägt er ein 34 Kilogramm schweres Exoskelett - einen robotischen Stützanzug. Damit absolviert er einen Hindernisparcours. Aufrecht. Was ist das für ein Gefühl?
«Am Anfang war es sehr anstrengend, da ich ja mit der Hüfte das Gleichgewicht nicht ausbalancieren kann», sagt Krieg. «Doch mit der Zeit ging es besser, und jetzt kann ich es auch geniessen.»
Im Alltag arbeitet Krieg als Bauführer. Im Rollstuhl. Der Cybathlon biete ihm die Gelegenheit, sich wieder einmal zu strecken. «Es ist toll, die Welt zwischendurch von weiter oben zu betrachten und nicht nur im Sitzen.»
Alltagstaugliche Technologie
Gründer des Cybathlons ist Robert Riener, Professor für Robotik an der ETH Zürich. Das Ziel des Wettkampfs sei es, die Entwicklung neuartiger Assistenzgeräte zu fördern. Diese Technologien haben sich in den letzten 10 bis 20 Jahren stark weiterentwickelt. Trotzdem seien sie noch ungenügend, sagt Riener:
«Die jetzigen Technologien bestehen zum Teil nur im Labor oder sind an den Anforderungen vorbeientwickelt worden – wir wollen dafür sorgen, dass sie besser und alltagstauglich werden.»
Die meisten Rollstühle zum Beispiel sind im Freien noch zu wenig wendig. Randsteine, Treppenstufen oder unebenes Gelände sind für Rollstuhlfahrer oft unüberwindbar. Motorisierte Modelle sind in der Regel sehr breit und schwer.
Auch bei den Beinprothesen könnte man vieles besser machen. «Die meisten Knieprothesen sind ohne Motoren ausgestattet», erklärt Riener. «Das macht das Aufwärtsgehen an Rampen, auf Hügeln oder beim Treppensteigen sehr anstrengend.»
Geboren ohne Unterarm
Verbesserungsbedarf gibt es auch bei den Armprothesen. Viele der gängigen Modelle haben keine Greiffunktion. Anders am Cybathlon: Die Sportlerin Claudia Breidbach wurde ohne den linken Unterarm geboren. Die 48-Jährige aus Heidelberg beschreibt, welche Aufgaben sie mit ihrer neuartigen Prothese im Parcours zu erledigen hat:
«Ich muss Geschicklichkeit beweisen, mit der Prothesenhand fest zupacken können. Etwa beim Öffnen einer Dose, beim Wäsche Aufhängen, Nägel Einschlagen, Kerze Anzünden und vielem mehr.
Von einer Aufgabe ist Breidbach ganz besonders begeistert: Sie muss blind in eine Box greifen und Gegenstände erkennen. Das Erlebnis hat sie verblüfft:
«Ich konnte sogar spüren, mit welchem Teil der Handprothese ich das Objekt berühre, ob es die Fingerkuppen sind, ob es der Daumen ist oder der Handrücken.» Das sei schlicht grossartig: eine Hand zu spüren, die sie nie gehabt habe.
Claudia Breidbach ist überzeugt, dass sich der Blick auf Behinderungen dank des technischen Fortschritts ändert. Sie trägt ihre Prothese mit Stolz, verziert mit auffälligen Tatoos für alle sichtbar. «Die Menschen sagen nicht mehr ‹oh, die Dame hat nur eine Hand›, sie sagen: ‹wow!›»
Dieser Wow-Effekt des Cybathlons soll auch den schweren Exoskeletten oder klobigen Rollstühlen den Weg in den Alltag ebnen.