Das Unispital in Genf ist europaweiter Vorreiter: Bis vor kurzem haben in Genf ausschliesslich Ärzte am Onkologie-Board darüber beraten, welche Krebsmedikamente bei einem Patienten am wirksamsten sind. Jetzt macht das auch der IBM-Supercomputer «Watson» mittels künstlicher Intelligenz.
«Wir benutzen das Programm während der Vorbereitung auf das Tumor-Board», sagt der Onkologe Petros Tsantoulis. «Man schaut sich die Vorschläge an und argumentiert dann im Plenum für oder gegen eine Behandlung.»
Jeder Tumor ist anders
Künstliche Intelligenz wird in der Krebsbehandlung immer wichtiger, weil immer mehr Daten im Spiel sind. Das hängt mit den heute möglichen Molekular-Analysen von Tumoren zusammen.
Modernste Laborgeräte schaffen es mittlerweile, mit dem sogenannten «Next Generation Sequencing», hunderte Tumorgene zu analysieren. Denn jeder Tumor hat ein eigenes Profil mit Gen-Mutationen, die dazu beitragen, dass der Tumor wächst.
Mit dem passenden Medikament kann der Patient Jahre gewinnen
Gesucht sind mögliche Andock-Stellen für sogenannte zielgerichtete molekulare Medikamente. Der Arzt sucht dann passende Medikamente, die an der Mutation andockten und das Wachstum stoppen können.
Erste zielgerichtete molekulare Medikamente kamen vor etwa 20 Jahren auf dem Markt. Sie haben Namen wie Imatinib, Nilotinib oder Dasatinib und haben die Krebsbehandlung, etwa im Bereich Brust- oder Darmkrebs, nachhaltig revolutioniert. Sprechen Patientinnen und Patienten an, leben sie teilweise noch Jahre mit der Krankheit.
Daten, Daten, Daten
Daten-Flut auf der einen Seite - sehr spezifische Medikamente auf der anderen Seite. «Wir werden bald zigtausende Informationen analysieren müssen, um die richtige Therapie zu finden», sagt Yves Dietrich, Chef-Onkologe am Unispital Genf. «Ein Mensch braucht dafür viel Zeit. Da kann uns der Computer helfen.»
Bisher hat «Watson» in ausländischen Studien etwa gleich gut abgeschnitten wie Ärzte. Einziger Vorteil: «Watson» hat mehr Studien-Plätze gefunden, wo Patienten mit experimentellen Therapien behandelt werden können.
Noch zu wenig Nutzen
Der Onkologe Roger Von Moos vom Kantonsspital Chur kann noch gut auf künstliche Intelligenz verzichten. «Wir machen bei etwa 20 bis 30 Prozent von unseren Patienten eine sogenannte Molekularanalyse. Dort könnte man theoretisch die künstliche Intelligenz einsetzen», sagt Roger Von Moos. «Bei den meisten kommt ein einfaches Resultat heraus, wo wir mit klinischen Erkenntnissen einfach sagen können, welches Medikament da folgerichtig zum Zug kommt.»
Um wirklich gut zu sein, müsste der Supercomputer laut von Moos mit mehr als nur Gen-Analysen und Studien gefüttert werden: «Was wir am Schluss brauchen, sind klinische Daten. Also: Was für einen Nutzen hatte der Patient davon. Das müssen wir in eine Maschine zurückspeisen können. So, dass man aus jedem Patienten, den man behandelt, lernt. Das würde uns wirklich weiterbringen.»
Genau so ein Projekt wollen die 20 grössten Schweizer Krebszentren ab nächstem Jahr starten. Unter dem Namen Onconavigator. Aber mit anderer Software als Watson.