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Technik Barrierefreiheit: «Wir sind bei 50 Prozent»

Treppensteigende Rollstühle, Niederflureinstiege, abgeschrägte Trottoirs – bei der Barrierefreiheit hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Genügt das? Harald Suter von der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung erklärt, wo es Nachholbedarf gibt. Und was er sich von neuen Technologien erhofft.

SRF: Harald Suter, was war für Sie persönlich die wichtigste Veränderung der letzten Jahrzehnte?

Harald Suter: Für mich macht es einen riesigen Unterschied, dass die manuellen Rollstühle wendiger und vor allem markant leichter geworden sind. Dadurch kann ich heute viel längere Strecken als früher selbstständig zurücklegen.

Zur Person

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Legende: Privat

Harald Suter ist in der Lebensberatung der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung (SPV) tätig und unterstützt Patienten und ihre Angehörigen in ihrer Lebensgestaltung. Suter ist 43 Jahre alt und seit einem Unfall vor 17 Jahren querschnittsgelähmt.

Was ist für Rollstuhlfahrer heute das grösste Problem?

Es sind die baulichen Hindernisse: Wirklich überall gibt es Kanten, die sich schlichtweg nicht alleine überwinden lassen. Und nicht jede Person im Rollstuhl ist so wie ich und fragt einfach jemanden nach Hilfe.

Hat sich die Situation nicht deutlich verbessert?

Mittlerweile sind viel mehr Trottoirs abgeschrägt und die Gebäude, die neu gebaut werden, sind in der Regel gut rollstuhlgängig. Auch im Bereich der technologischen Neuerungen gab es diesbezüglich Fortschritte, zum Beispiel mit dem «Swiss-Trac». Das ist ein elektrisches Zuggerät: Man kann es an einen Rollstuhl koppeln und damit Trottoirkanten hoch- und runterfahren.

Was halten Sie von Projekten wie dem treppensteigenden Rollstuhl der ETH («Einstein» vom 21.05.2015)?

Jede technische Neuerung mit dem Ziel, unser Leben selbstständiger zu machen, ist eine Bereicherung. Ob sie im Alltag tatsächlich etwas bringen, hängt vom Einzelfall ab. Als sportlicher Handrollstuhlfahrer kann ich praktisch alles gleich schnell erledigen wie ein Nichtbehinderter. Wenn mein Rollstuhl aber plötzlich 20 Kilogramm schwerer ist, schränkt es mich in meiner Mobilität ein. Allerdings denke ich, dass Personen, die generell auf einen Elektrorollstuhl angewiesen sind, von so einer Technologie sehr profitieren könnten.

Was bringen andere Versprechen wie zum Beispiel anschnallbare Roboterbeine?

Das so genannte Exoskelett ist im therapeutischen Bereich sicher ein nutzbares Hilfsmittel, doch ihr Gewicht verlangsamt mich extrem. Das heisst nicht, dass ich nicht gerne in einer stehenden Position bin – meine Lebensqualität würde es aber nicht zwingend verbessern. Allerdings hat meine Einschätzung sicher auch etwas damit zu tun, dass ich meinen Unfall schon vor 17 Jahren hatte. Jemand, der erst seit Kurzem im Rollstuhl ist, ist vielleicht noch begeisterter.

Rollstuhlfahrerin steigt in Tram ein
Legende: Barrierefreier Nahverkehr? Auch ein Niederflureinstieg bedeutet nicht, dass Rollstuhlfahrer ohne Hilfe an jeder Station ein- und aussteigen können. Keystone

Schon im Dezember 2002 wurde das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) beschlossen. Es soll die «Benachteiligungen verhindern, verringern oder beseitigen, denen Menschen mit Behinderungen ausgesetzt sind». Was hat sich seither getan?

Das Gesetz ist sicher ein Meilenstein. Bis 2023 muss der gesamte öffentliche Raum, sowohl Gebäude als auch der öffentliche Verkehr, rollstuhlgängig sein. Wenn ich aber mir den Stand heute anschaue, bin ich skeptisch. Selbst die vorhandenen Rampen sind zu steil. Die meisten Handrollstuhlfahrer können sie nicht alleine befahren, weil sie nicht die Kraft haben. Auch der Niederflureinstieg im Nahverkehr bedeutet nicht, dass es keine Stufen mehr gibt.

Und wie sieht die Lage im Fernverkehr aus?

Da geht nichts ohne Voranmeldung. Weil nicht an allen Bahnhöfen Mobilrampen zur Verfügung stehen, können wir auch nicht überall zu- und aussteigen. Wenn ich zwei starke Männer dabei habe oder Hilfe im Zug finde, kann ich mit meinem Handrollstuhl herausgehoben werden. Aber mit einem Elektrorollstuhl hat man gar keine Chance.

Was könnte die SBB tun?

Wir haben in der Schweiz das Problem, dass die Perrons eine Höhe zwischen 22 und 76 Zentimetern haben. Es ist unmöglich, das auszugleichen. Daher hoffen wir auf verkehrsmittelgebundene Lösungen: Das würde ein ungebundenes Reisen ermöglichen. Die SBB schafft gerade neue Fernverkehrzüge an. Wir sind gespannt.

Wie weit sind wir in der Schweiz in Sachen Barrierefreiheit?

Ich denke, wir sind bei 50 Prozent. Es gibt noch viel Nachholbedarf. Doch die Gesetzgebung steht der Lösung oft im Weg. Die USA sind zum Beispiel schon viel weiter als die Schweiz.

Wegweiser für rollstuhlgängigen Wanderwege am Rigi
Legende: Rollstuhlgängige Wanderwege auf dem Rigi: Das Freizeitangebot hat sich verbessert. Doch in den Städten sind bauliche Hindernisse für Rollstuhlfahrer ein Problem. Keystone

Was soll denn Ihrer Meinung nach das Ziel sein?

Der Anspruch, dass es für Rollstuhlfahrer ein total selbstständiges Leben geben wird, kann nicht erfüllt werden – auch per Gesetz nicht. Immer werden irgendwo Kanten zu bewältigen sein, manche sind vielleicht technisch auch gar nicht behebbar. Gewisse alte Gebäude kann man zum Beispiel nicht anpassen. Wirtschaftlich wäre das ein Wahnsinn. Und Bautoleranzen erlauben auch immer gewisse Niveau-Ungleichheiten.

Und welche Hürden halten Sie für irrsinnig?

Wenn jemand zum Beispiel vor seinem Laden eine Rampe oder Hebebühne für Rollstühle errichten möchte, darf er das nicht. Vor dem Laden ist in der Regel öffentlicher Grund, da ist nur die Gemeinde zuständig. Selbst wenn der Ladenbesitzer die gesamten Kosten übernehmen würde, könnte er keine Rampe bauen. Ich kenne eine Patientin, die bei ihrer Arbeitsstelle ein kleines Podest vor der Tür hat. Da sie die Stufe nicht alleine bewältigen kann, kam bisher jeden Morgen die Mutter mit, um eine tragbare Rampe hinzulegen. Da braucht es definitiv eine andere Lösung.

Was wäre eine umsetzbare Alternative?

Technische Lösungen sind gefragt, die an der Wand montiert werden und die man elektrisch ausklappen und hinausfahren kann. Doch solche Lösungen kosten. Da muss sich die Schweiz klar werden: Können und wollen wir uns das leisten?

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