Die «Akademik Lomonosov 1» ist – wenn man so will – ein wiederbelebter Traum. Geträumt wurde schon in den 1960er-Jahren: Damals sollten Reaktorschiffe eine sichere, preiswerte Energieversorgung für entlegene Industrieanlagen oder Siedlungen bieten, sauberer sein als Dieselgeneratoren und wirtschaftliche Chancen eröffnen. Genau so lautet heute die Werbung für das russische Reaktorschiff «Akademik Lomonosov 1». Entgegen aller Erwartungen ist es fast fertig. Derzeit werde die Crew geschult, schreibt die Föderale Agentur für Atomenergie Russlands, Rosatom. Im Herbst sollen die Testläufe beginnen.
Die «Akademik Lomonosov» ist eine 150 Meter lange Barke, auf der zwei modifizierte Eisbrecher-Reaktoren installiert wurden. Sie bietet Platz für die 70 Personen Besatzung, die das schwimmende Kraftwerk bedienen sollen. Einmal an den Bestimmungsort geschleppt, soll es dort 40 Jahre lang Dienst tun.
Ein Alptraum für Umweltschützer
«Die Russen haben eine lange Erfahrung mit Nuklearreaktoren an Bord von Schiffen», erklärt Nils Böhmer von der Umweltorganisation Bellona Foundation in Oslo, «trotzdem sind immer wieder Feuer ausgebrochen.» Und das, obwohl die Atomeisbrecher und atomar betriebenen U-Boote regelmässig in Werften überholt und gewartet werden. Das neue Reaktorschiff soll die Werft allerdings erst zum Abwracken wieder sehen. Bis dahin sammeln sich die abgebrannten Brennelemente in einem Lagerraum an – und damit steigt mit der Zeit das Risiko.
Zwar sind die auf der «Akademik Lomonosov» eingesetzten Reaktoren mit 35 Megawatt (MW) elektrischer Leistung klein im Vergleich zu einer 1000MW-Anlagen an Land. «Dadurch muss im Störfall weniger Wärme abgeführt werden», urteilt Stephan Kurth vom Ökoinstitut Darmstadt. «Aber gerade die kleinere, kompakte Bauweise kann Schwierigkeiten bereiten, weil die Anlagen oft schlechter zugänglich sind». Die Reaktoren seien nämlich nicht so klein, dass man sie einfach sich selbst überlassen könne: «Auch bei ihnen müssen Sicherheits- und Notkühlsysteme die Kettenreaktion dauerhaft unterbinden.»
Verschiedene Systeme sollen Sicherheit bringen
Der russische Atom-Konzern Rosatom erklärt, die Reaktoren bildeten keine Gefahr: Man habe aktive und passive Sicherheitstechniken kombiniert – falle ein System aus, übernehme ein anderes. Und so hiess es in einem Vortrag vor der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEO: Der «Akademik Lomonosov» mache weder ein Erdbeben der Stärke 10 etwas aus noch ein Tsunami, der sie an Land werfe, noch eine Kernschmelze. Die bliebe im Reaktordruckbehälter gefangen. Der Nuklearphysiker Nils Böhmer ist da skeptisch: «Die Schutzhülle um den Reaktor ist nicht sehr robust, so dass bei einem Leck durchaus Radioaktivität in die Umwelt gelangen kann.»
Stephan Kurth vom Ökoinstitut in Darmstadt warnt vor den Folgen eines schweren Unfalls in einem entlegenen Gebiet: «Gerade im Winter wird es dauern, ehe Hilfsmittel oder Experten vor Ort sein könnten. Das macht die Bewältigung nicht leichter.»
Hoffnung auf einen Exportschlager
Rosatom hingegen hofft, dass schwimmende Atomkraftwerke ein Exportschlager werden. Es gebe Interessenten in Asien, Afrika und Südamerika. Die Idee liegt im Trend: Die Chinesen haben ein Kooperationsabkommen mit Rosatom unterzeichnet und ein anderes mit der britischen Firma LLoyd's Register für ein anderes Modell. Die US-Eliteuniversität MIT möchte ein paar Meilen vom Strand entfernt Tiefsee-Ölplattformen mit Atomkraftwerken «kreuzen»: Der Reaktor sässe unter Wasser, und der Strom würde über Kabel an Land transportiert.
Ob es so kommt, ist offen. Das Versprechen, preiswert zu sein, erfüllt zumindest die «Akademik Lomonosov 1» nicht. Laut der Umweltorganisation Bellona sind die Kosten explodiert und liegen bei 750 Millionen Dollar. In Pewek, der nördlichsten Stadt Russlands, wo die Barke ab 2021 Strom liefern soll, kostet die Hafeninfrastruktur noch einmal 79 Millionen Dollar. Damit sich das auch lohnt, seien künftig grössere Reaktorschiffe angedacht: Russland plane 200 bis 500 MW-Anlagen.