«Ich bin begeistert; der Rollstuhl fühlt sich gut an» sagt Roland Siegwart, Vizechef Forschung der ETH Zürich bei seiner ersten Probefahrt auf dem neuartigen Rollstuhl, «eindrücklich, was Studenten im dritten Studienjahr schaffen!» Mit dem Rollstuhlprojekt will die ETH die Entwicklung von technischen Hilfen für Behinderte fördern.
Siegwart ist überzeugt, dass solche Projekte nötig sind: «Da der Markt für solche Geräte klein ist, scheut sich die Industrie, viel Geld zu investieren», sagt er, «in diese Bresche müssen die Hochschulen springen.» Zugleich ist der Rollstuhl ein Vehikel für die Ausbildung. Die Studenten lernen den ganzen Zyklus des Entwerfens: von der Idee bis zum Prototypen – und das noch an einem sinnvollen Produkt.
«Wendig, schnell und elegant»
Was sofort auffällt: Der Rollstuhl hat nur zwei Räder. Das macht ihn schlank, besonders im Vergleich zu anderen Elektro-Rollstühlen, die auf vier Rädern fahren und nicht gerade durch Eleganz bestechen. Dieses Prinzip haben die Studenten dem zweirädrigen Segway abgeschaut.
Den ausgeklügelten Balancier-Mechanismus, mit dem der Rollstuhl die Position hält, haben sie aber selbst entwickelt. Dabei konnten sie auf die langjährige Erfahrung der ETH zurückgreifen. «Das Fahren auf zwei Rädern funktioniert jetzt schon recht gut», sagt Maschinenbaustudent Bernhard Winter.
Mit einem zehnköpfigen Team von Studentinnen und Studenten – Maschinenbauer und Industriedesigner – arbeitet er seit über einem halben Jahr an dem Hightech-Projekt. Neben dem Anspruch, sicher über Treppenstufen zu fahren, so Winter, «soll unser Rollstuhl soll wendig, schnell und elegant sein». Hoch gesteckte Ziele.
Raupen unter dem Rollstuhl
Treppen meistert der «Scalevo», wie der Rollstuhl heisst, mit einem Raupen-System, das an seinem Boden befestigt ist. Hat der Rollstuhl vor einer Treppe die Rückwärts-Position eingenommen, vermessen integrierte Radarsensoren die Stufen vollautomatisch und dirigieren Scalevo über das Hindernis.
«Die grundsätzlichen Funktionen sind jetzt eingebaut, dass sie alle miteinander zusammenspielen; das müssen wir jetzt noch programmieren», erläutert Jungingenieur Winter. Doch das Raupen-System funktioniert noch nicht optimal, wie erste Test zeigten: Unter Belastung lösen sich die Raupen aus ihrer Führungsschiene. Eine Lösung dafür ist schon in Arbeit.
Roboter als Hightech-Helfer
Das grosse Ziel der Rollstuhlbauer ist der Cybathlon-Wettstreit im Herbst 2016 in Zürich: eine Art Roboter-Mensch-Olympiade. Menschen mit Behinderung treten mit Hilfe von Robotern und Hightech gegeneinander an. Eine Disziplin sind Elektro-Rollstühle, die einen Hindernisparcours und eine Treppe bewältigen müssen.
«Wir wollen mit unserem Rollstuhl am Cybathlon gut abschneiden», sagt Winter, «und wenn das gut läuft, kann man sich über einen Markteintritt Gedanken machen.» Doch selbst bei einem Erfolg: Ob Scalevo es bis zur Serienreife schafft, hängt auch vom Interesse der Industrie ab.
Noch viele Tests – zur Sicherheit
Ein wichtiges Thema wird die Sicherheit. «Safety ist Number One. Ohne das macht unser Rollstuhl keinen Sinn», betont Winter. Im nächsten Jahr wird das Team deshalb in unzähligen Tests versuchen, alle möglichen Fahrsituationen und Pannen nachzustellen.
Am Ende, so Winter, soll «das Fahren mit dem Scalevo zu einem Erlebnis werden und Spass machen». Auch wenn bis dahin noch viel zu tun ist: An Motivation fehlt es den Studenten nicht. Tag und Nacht tüfteln sie an ihrem Gefährt, dass sie auch mal gerne als den «Tesla der Rollstühle» bezeichnen.