Als Norbert Spichtig, der stellvertretende Kantonsarchäologe von Basel-Stadt, die Krüge aus einem Stück Erde im alten Basler Hafen St-Johann herausragen sah, wusste er, dass es sich um einen Jahrzehntefund handelt: «Ich sah nur die oberste Lage. Aber mir fiel auf, dass alle Gefässe auf dem Kopf standen. Das konnte kein Zufall sein.» Zudem war der Abstand zwischen den Gefässen auffallend regelmässig.
Untersuchung im Hightech-Tomographen
Für die Archäologen gab es nur eine Erklärung: Die Kelten hatten die Schätze vor 2000 Jahren mit Absicht so vergraben. Doch statt den archäologischen Schatz mit Pinsel und Pinzette freizulegen, entschied sich Spichtig für Röntgenstrahlen: «Ich wollte wissen, in welchem Zustand die Fundstücke waren und vor allem, wo genau sie lagen. Nur mit Röntgenstrahlung konnten wir uns schonend an die verklumpten Gegenstände herantasten.» Mit anderen Worten: Berühren verboten, hiess die Devise für sein Team.
Spichtig und seine Mitarbeiter setzten auf einen Hochenergie-Computertomographen (CT), der seit wenigen Monaten bei der Empa in Dübendorf im Einsatz ist – einer von nur dreien in Europa. Er arbeitet mit 6000 Kiloelektronenvolt: 60 mal so viel Energie, wie ein CT im Spital verwendet – und genug, um den Basler Erdblock zu durchleuchten. Das rund eineinhalb Meter breite Bodenstück reiste also, in Gipsbandagen verpackt, von Basel nach Dübendorf.
Mekka für Schweizer Keltenforscher
Dass der Kanton Basel-Stadt in Sachen Kelten Schlagzeilen macht, kommt nicht von ungefähr: Wo heute Autobahnen und modernste Gebäude entstehen, befand sich um 100 vor Christus eine 150’000 Quadratmeter grosse keltische Siedlung. Die Lage hinter dem Prallhang des Rheinknies, der die bis zu 1000 Menschen vor Hochwasser schützte, trug dazu bei, dass Zeugnisse der spätkeltischen Kultur erhalten blieben.
Erste archäologische Grabungen wurden bereits vor hundert Jahren durchgeführt, als der letzte Gaskessel des städtischen Gaswerks entstand. Wenig später entdeckte man ein Gräberfeld, und es begannen erste Versuche, die Basler Keltensiedlung theoretisch zu rekonstruieren. Bei Grossbauten wie der Basler Nordtangente oder dem Novartis Campus entdeckt man bis heute wichtige Funde.
Doch wenn es darum geht, konkrete Aussagen über das Leben der Kelten zu machen, sind die Basler Archäologen vorsichtig. Da die Siedlung keine Steinbauten hatte und einzig aus Holz- und Erdbauten bestand, sind Spuren schwierig zu deuten. Oft weisen nur schwache Verfärbungen im Boden auf ein Haus oder eine Vorratskammer hin.
Fundstücke stehen auf dem Kopf
Der Basler Erdblock gab seinen Inhalt jedoch präzise preis – dank der einzigartigen Aufnahmen aus dem Tomographen. Hunderte von Röntgenbildern rund um das Objekt wurden zu 3-D-Animationen verbunden – und Experte Spichtig fühlt sich bestätigt: «Objekte aus Metall oder Keramik, aber auch aus Holz sind erkennbar. Äxte, Geschirr, Kessel, alles ist da.»
Das Innere des riesigen Erdblocks entpuppte sich als archäologische Schatztruhe von unschätzbarem Wert: Praktisch alle Fundstücke waren kaum beschädigt – nicht der übliche Scherbenhaufen, sondern so, als wären die Gegenstände erst kürzlich vergraben worden. «Normalerweise finden wir Abfälle», sagt Spichtig, «Sachen, die die Menschen fortwarfen und die wir dann aufwendig zusammenfügen müssen.»
Die Kelten vergruben diese Gegenstände scheinbar bewusst «für die Ewigkeit», so der Archäologe, «warum? Das wissen wir nicht.» Und noch ein Rätsel wird bleiben: Warum die Kelten alle Gefässe auf den Kopf gestellt in der Erde versenkten, wissen die Archäologen immer noch nicht.