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Warum der Merkur seine Richtung ändert
Aus Wissen Webvideos vom 29.04.2022.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 8 Sekunden.

Rückläufiger Merkur Diese optische Täuschung versetzt Sterngucker in Aufregung

Für Astrologie-Fans ist der rückläufige Merkur Schuld an Unglücken und Missgeschicken. Die Astrophysik hält davon nichts, interessiert sich aber dennoch für das Phänomen.

Wenn Sie sich ab dem 10. Mai aus Ihrer Wohnung aussperren, ein wichtiges Dokument vom Laptop löschen oder versehentlich eine SMS an die Ex senden: Machen Sie es doch wie Millionen von Astrologie-Fans und geben Sie dem rückläufigen Merkur die Schuld.

Der kleinste Planet im Sonnensystem soll angeblich unmittelbaren Einfluss auf unsere Kommunikationsfähigkeiten und technischen Geräte haben und – trotz seiner 80 Millionen Kilometer Entfernung – auf der Erde für Chaos sorgen. So zumindest die Annahme vieler Sternbild-Deutenden.

Progressiver Miesepeter

«Schlechte Laune, Streitereien, maximale Verwirrung, unglückliche Zufälle, misslungene Kommunikation sind klassische Fälle von Mercury Retrograde!», schreibt die Schweizer Astro-Queen Alexandra Kruse in ihrer Annabelle-Kolumne. Der auf Instagram und Twitter immer beliebter gewordene Hashtag #mercuryretrograde untermauert mit satirischen Memes den Buhmann-Status des Planeten.

«Aus astronomischer Sicht macht das natürlich keinen Sinn», sagt Astrophysikerin Lucia Kleint und lacht. Die Erklärungen der Astro-Fans beruhten auf Merkur, dem Götterboten, der in der römischen Mythologie der Hüter der Kommunikation war: «Aber diese Zuschreibung war von den Römern zufällig gewählt.»

Astrologie ist keine Wissenschaft, das haben in den vergangenen Jahren viele Untersuchungen bewiesen. Doch auch Astrophysikerin Kleint begegnete dem rückläufigen Merkur in ihrem Arbeitsalltag schon oft. Das Phänomen #mercuryretrograde lässt sich nämlich auch ohne Astrologie erklären.

Tag für Tag und Woche für Woche, während sich die Erde um die Sonne dreht, bewegen sich die Planeten unseres Sonnensystems in die gleiche Richtung wie die Sonne – von West nach Ost. Astronomen nennen dies «progressive Bewegung».

Etwa drei bis vier Wochen im Jahr verhält sich Merkur allerdings eigenartig und so gar nicht progressiv. Beobachtet man seine Position am Himmel, scheint er auf seiner Umlaufbahn plötzlich seine Richtung zu ändern.

Warum Planeten die Richtung wechseln

«Zu bestimmten Zeiten kann sich ein Planet ‹rückläufig› bewegen, also von Ost nach West. Diese Bewegung nach Westen wird ‹scheinbare rückläufige Bewegung› genannt. Das kommt vom lateinischen Wort ‹retrogradus›, was ‹rückwärts gehen› bedeutet», erklärt Lucia Kleinert.

Grafik: Planeten auf Umlaufbahnen um die Sonne
Legende: Merkur und Erde drehen sich nicht gleich schnell um die Sonne – darum kann es manchmal aussehen, als würde sich Merkur rückwärtsbewegen. SRF

Generell können alle Planeten rückläufig sein. «Das liegt daran, dass die  Geschwindigkeiten, mit denen sie sich um die Sonne herum bewegen, verschieden sind», so die Astrophysikerin.

«Stellen Sie sich vor, Sie fahren auf der Autobahn und überholen ein Auto: Wenn Sie im Überhol-Moment nach rechts schauen, scheint das andere Fahrzeug für einen kurzen Augenblick rückwärts zu fahren – obwohl Sie sich beide nach vorne bewegen.» Das Ganze ist also eine Illusion.

Hell und heiss: Der Merkur

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Legende: Getty Images / SCIEPRO

Merkur ist der innerste und kleinste Planet unseres Sonnensystems. Er umläuft die Sonne in knapp 88 Tagen auf einer elliptischen Umlaufbahn, deren kleinster Sonnenabstand (auch Perihel genannt) 47 Millionen Kilometer beträgt. Der grösste Sonnenabstand (auch Aphel genannt) misst fast 70 Millionen Kilometer.

Da sich der Merkur viel näher an der Sonne befindet als die Erde, bescheint ihn die Sonne viel intensiver. Dadurch leuchtet er trotz seiner geringen Grösse relativ hell. Die von der Sonne beschienene Merkuroberfläche wird auf bis zu 430°C aufgeheizt

Sucht man im Netz nach Aufnahmen dieser prominenten Illusion, findet man überraschend wenig. Fotos des rückläufigen Mars oder der Venus: kein Problem. #mercuryretrograde? Fehlanzeige.

Merkur ist schwer zu fotografieren

Lässt sich Merkur mit Kameras nicht einfangen? Sorgt der Planet etwa doch für technische Komplikationen? «Dass es vor allem Bilder von Mars und Venus gibt, liegt einfach daran, dass wir die beiden von der Erde aus viel leichter sehen können.»

Der Mars kann die ganze Nacht sichtbar sein, was das Fotografieren einfach macht. Merkur dagegen steht von uns aus gesehen immer nahe bei der Sonne und ist somit seltener sichtbar.

Nahaufnahme der Sonne mit einem kleinen schwarzen Punkt davor
Legende: Merkur als schwarzes Pünktchen vor der Sonne: Der Planet ist schwer zu fotografieren. Getty Images / Cameran Ashraf

Merkur ist wegen seiner Sonnennähe nur kurz vor Sonnenauf- und kurz nach Sonnenuntergang sichtbar. Man muss ihn also in der Dämmerung suchen – was schwierig ist.

Kleint erklärt das Problem: «Die Ebene der Umlaufbahnen muss also während einer abendlichen Erscheinung und der darauffolgenden morgendlichen Erscheinung einen ausreichend steilen Winkel mit dem Horizont haben, damit Merkur an einem einigermassen dunklen Himmel hoch genug steht, um seine Position zusammen mit den Hintergrundsternen fotografieren zu können.»

Wie die rückläufige Bewegung früher erklärt wurde

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Legende: Ptolemäus fand eine falsche Erklärung für den rückläufigen Merkur. Wikimedia

Die frühen Astronomen gingen davon aus, dass sich die Erde im Zentrum des Sonnensystems befindet. Für sie war die retrograde Bewegung ein Rätsel.

Im zweiten Jahrhundert entwickelte Claudius Ptolemäus ein kompliziertes System von Schleifen und Bahnen in Bahnen, um die scheinbar rückläufige Bewegung der Planeten zu erklären. Dieses Modell wurde 1500 Jahre lang akzeptiert, weil es zu den Beobachtungen zu passen schien, obwohl es völlig falsch war.

Nachdem Kopernikus zeigen konnte, dass sich alle Planeten, einschliesslich der Erde, um die Sonne bewegen, liess sich die rückläufige Bewegung leicht als Illusion erklären.

Merkur ist schon bald wieder rückläufig

Der nächste rückläufige Merkur steht schon in den Startlöchern: Vom 10. Mai bis 3. Juni 2022 wird der Planet sich am Himmel scheinbar rückwärts bewegen. Danach wird der Merkur vom 9. September bis 2. Oktober und vom 29. Dezember bis 18. Januar 2023 nochmals rückläufig sein. Ob Sie ihn dann für eventuelle Alltags-Patzer verantwortlich machen wollen, entscheiden Sie am besten selbst.

App-Tipp für Sterngucker

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Der Weg eines rückläufigen Planeten über den Himmel lässt sich zum Beispiel mit der Sternenbeobachtungs-App «Star Walk 2» verfolgen.

Tippen Sie auf das Lupensymbol in der unteren linken Ecke, geben Sie den Namen des Planeten in das Suchfeld ein und tippen Sie auf das entsprechende Suchergebnis.

Sie sehen die aktuelle Position des Himmelskörpers am Himmel. Sie können den Standort des Planeten auch für ein beliebiges Datum und eine beliebige Uhrzeit mit der Zeitmaschinen-Funktion anzeigen.

Neben dem Merkur lassen sich demnächst auch bei anderen Planeten rückläufige Bewegungen beobachten:

Hier ist die Liste anderer Planeten im Sonnensystem, deren rückläufige Bewegung im Jahr 2022 stattfinden wird:

  • Saturn: 4. Juni – 22. Oktober
  • Neptun: 28. Juni – 3. Dezember
  • Jupiter: 28. Juli – 23. November
  • Uranus: 24. August – 22. Januar 2023
  • Mars: 30. Oktober – 12. Januar 2023

SRF 1, Sternstunde Philosophie, 1.5.2022., 10:00 Uhr.

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