Wir schreiben das Jahr 1933. Fritz Zwicky, ein Schweizer Astrophysiker, der in den USA arbeitet, richtet sein Teleskop gen Himmel. Ins Visier nimmt er einen Haufen von mehr als 1000 Galaxien, den Coma-Galaxienhaufen. Zwicky misst das Licht all diesen Galaxien. Er berechnet daraus, wie viel Masse der Galaxienhaufen etwa haben muss. Dann beobachtet er, wie schnell sich einzelne Galaxien bewegen. Und da zeigt sich Überraschendes: Manche Galaxien sausen so schnell im Haufen herum, dass sie seiner Schwerkraft eigentlich entkommen müssten. Doch irgendetwas hält die Galaxien fest, eine schwere Masse, die aber im Teleskop nicht zu sehen ist. Fritz Zwicky nennt diese Masse: Dunkle Materie.
Dunkle Übermacht
Seit damals ist bekannt, dass es im Universum neben all den Sternen und Gaswolken noch eine zusätzliche Form von Materie geben muss. Eine, die nicht leuchtet, nicht strahlt, nicht reflektiert – aber doch an den Himmelskörpern zieht.
Zahlreiche weitere Messungen haben Zwickys Entdeckung inzwischen bestätigt, verfeinert und ausgeweitet. Heute ist klar: Gut 80 Prozent der Materie im Universum besteht aus Dunkler Materie; die normale sichtbare Materie, aus der auch wir und die Gegenstände um uns herum bestehen, ist in der Minderheit. Was genau aber diese Dunkle Materie ist, das ist nach wie vor ein Rätsel. Es gibt zahlreiche Theorien, von denen die meisten postulieren, dass die Dunkle Materie aus einer bisher unbekannten Art von Elementarteilchen besteht.
«Die Dunkle Materie besteht nicht aus Teilchen, die wir schon kennen, da sind wir ziemlich sicher», sagt der Astrophysiker Martin Pohl von der Universität Genf. Für ihn ist klar: «Die unbekannten Teilchen müssen elektrisch neutral sein, weil sie nicht leuchten und deshalb unsichtbar bleiben. Ausserdem müssen sie schwer sein, weil die Dunkle Materie sich langsam bewegt; und sie interagieren nur sehr schwach untereinander und mit normaler Materie.»
Jagd nach unbekannten Teilchen
Dieser Steckbrief hilft den Forschern bei der Jagd nach der mysteriösen Materie. Jagdmethoden gibt es verschiedene: Die Physiker am Teilchenphysiklabor Cern in Genf beispielsweise versuchen, die Teilchen im Beschleuniger künstlich zu erzeugen und dann zu beobachten – bisher ohne Erfolg.
Die Dunkle Materie lässt sich möglicherweise aber auch direkt nachweisen, wenn ein solches Teilchen per Zufall einmal ganz genau auf einen normalen Atomkern trifft und diesem einen Schubs gibt. Solche Experimente laufen in Kavernen tief unter der Erde, wo kaum andere Strahlung die Messungen stört. So ein Zusammenstoss sei allerdings extrem selten, sagt die Astrophysikerin Laura Baudis von der Universität Zürich, die an einem Experiment in Italien beteiligt ist. Bis jetzt hat noch kein Teilchen der Dunklen Materie in einem solchen Experiment seine Spur hinterlassen.
Fingerabdruck der Dunklen Materie
Es gibt aber noch einen weiteren Weg, um der Dunklen Materie auf die Schliche zu kommen. Gewisse Theorien sagen nämlich voraus, dass die Teilchen der Dunklen Materie im Weltall ab und zu miteinander kollidieren und dabei andere, schon bekannte Teilchen erzeugen. Diese wiederum müssten sich mit Instrumenten im All nachweisen lassen – als Muster in der kosmischen Strahlung.
Solch ein Fingerabdruck der Dunklen Materie wurde bisher zwar noch nicht gefunden. Mehrere Experimente beobachten aber in der Tat ein rätselhaftes Muster in der kosmischen Strahlung: einen Überschuss an Positronen, den positiv geladenen Schwester-Teilchen der Elektronen. Gerade diese Woche hat eine internationale Arbeitsgruppe neue Resultate dazu vorgestellt. Sie haben den Positronen-Überschuss mit dem «Alpha Magnetic Spectrometer» auf der Internationalen Raumstation ISS genauer vermessen als je zuvor.
Alles ist noch offen
Auch mit diesen neuen Resultaten sei allerdings noch nicht klar, wo der beobachtete Überschuss herkomme, sagt Laura Baudis von der Universität Zürich, ob von einer gewissen Klasse von Sternen oder tatsächlich von der Dunklen Materie.
Das bestätigt auch Martin Pohl von der Universität Genf, der am Experiment auf der ISS beteiligt ist. Er glaubt allerdings, dass er und seine Kollegen mit neuen Daten bald Licht in die Sache bringen können. Vielleicht wird das Rätsel der Dunklen Materie dann doch noch gelöst – 80 Jahre nach Fritz Zwickys Beobachtung.