Der damals im Aargau tätige Psychiater Boris Pritzker sichtete die schriftlichen Offerten der selbsternannten Henker-Kandidaten, und es gelang ihm, mit der Mehrzahl von ihnen Interviews zu führen. Das Material dieser Untersuchung wurde erst 1993 aus Pritzkers Nachlass publiziert und diente 1998 dem Zürcher «Theater Winkelwiese» als Basis für ein aufsehenerregendes Ensembleprojekt, welches mit grossem Erfolg in der Schweiz sowie auf europäischen Theaterfestivals gezeigt wurde.
Dabei stand weder der dokumentarische Aspekt des historischen Falles noch der moralische Diskurs pro oder contra die Todesstrafe im Vordergrund. Vielmehr entstand entlang der fiktiven Lebensläufe von fünf zutiefst helvetischen Henker-Kandidaten eine vielschichtige, poetisch gebrochene und nicht zuletzt elend komische Charakter- und Milieustudie.
Im Nachvollziehen der prototypisch verkorksten Biografien dieser Biedermänner wird auf beunruhigende Weise die dumpfe alltägliche Bereitschaft zum Tötungsakt spürbar, denn: «Einer muss es ja machen». Für die Hörspielfassung von SRF hatte der Dramaturg Peter-Jakob Kelting den Theatertext inhaltlich und formal neu arrangiert und akzentuiert. In den Doppelrollen von Befragten und Befragern agieren im Hörspiel die gleichen fünf Darsteller wie in der damaligen Bühnenfassung.
Die Radio-Inszenierung von Reto Ott wurde 2001 mit dem renommierten «Prix Europa» ausgezeichnet.
Mit: Hansrudolf Twerenbold (Matter), Ernst Sigrist (Rutholz), Martin Hug (Schwertfeger), Sebastian Krähenbühl (Stäuber), Burkart Ellinghaus (Stocker); Dylan Longridge, Andreas Dusek (Buben); Vokalensemble Männerchor Zürich (Leitung: Christoph Cajöri)
Musik: Christoph Stiefel, Biber Gullatz - Tontechnik: Roger Heiniger - Dramaturgie und Regie: Reto Ott - Produktion: SRF 2001 - Dauer: 49'
«Der letzte Henker» von Peter-Jakob Kelting
Im April 1938 verurteilte das St. Galler Kantonsgericht den dreifachen Mörder Paul Irniger zum Tod. Unaufgefordert bewarben sich daraufhin über 120 Männer aus der ganzen Schweiz für das Henkeramt. Ausgehend von den Bewerbungsbriefen entstand zuerst ein Theaterstück, dann ein preisgekröntes Hörspiel.
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