Frühjahr 2022, sechs Wochen Prozess, 24 Anklagepunkte, 24 Mal lautet das einstimmige Urteil der Geschworenen auf «schuldig» für Amber Heard. Begleitet wird der Prozess von einer beispiellosen Zurschaustellung auf Social Media, die sich vor allem gegen Amber Heard richtet. Eine Dokumentation auf Play SRF arbeitet die Geschehnisse auf und fragt: Inwieweit beeinflusste diese Dynamik das Urteil?
Der Rosenkrieg
Vor Gericht stehen sich Schauspielerin Amber Heard und Hollywoodstar Johnny Depp gegenüber. Die Ausgangslage: Die beiden waren rund fünf Jahre lang ein Paar, ein Jahr davon verheiratet. Unter der Oberfläche brodelte es gewaltig, Alkohol, Drogen und Gewalt sollen ständiger Teil der Beziehung gewesen sein.
Nach der Trennung schreibt Amber Heard einen Artikel für die Washington Post, in dem sie den Hass beschreibt, den sie als Opfer häuslicher Gewalt erfährt. Johnny Depp erwähnt sie nicht namentlich, trotzdem scheint klar, um wen es geht. Depp reicht Klage wegen Verleumdung ein.
Ein Maskulinist glaubt, dass er seine dominante Stellung als Mann zurückgewinnen muss.
Der Prozess wird live im Internet übertragen. Das Netz schaut zu, kommentiert, lacht, johlt und richtet – sehr oft zugunsten von Johnny Depp. Es beginnt ein Kampf zwischen denjenigen, die Amber Heard glauben, und denen, die die blauen Flecken und die Aufrichtigkeit der Schauspielerin infrage stellen.
Die Rolle der Maskulinisten
Einige sehen in Amber Heard ein Symbol dessen, was sie der Gesellschaft seit Jahren vorwerfen. Für sie wird der Prozess zu einer Art Abrechnung mit der MeToo-Bewegung – zu einer Möglichkeit, die von Feministinnen und Feministen angestrebten Veränderungen wieder rückgängig zu machen.
Die belgische Autorin und Verschwörungs-Expertin Marie Peltier erklärt, dass es sich dabei um sogenannte Maskulinisten handelt. «Ein Maskulinist sieht sich als unterdrückt und glaubt, dass er seine dominante Stellung zurückgewinnen muss.» Am Beispiel von Amber Heard würden die Maskulinisten zeigen wollen, dass eine Frau lügt, um schlusszufolgern, dass auch andere Frauen lügen.
Die Rolle von Social Media
Die Dynamiken auf Social Media verstärken die Stimmung zugunsten Johnny Depps. Über 6000 Bots sollen den Hashtag #JusticeForJohnnyDepp gepostet haben. Im Laufe des Prozesses wird er fast 600'000 Mal verwendet.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der häusliche Gewalt in Memes verulkt wird.
Aus dem Rosenkrieg wird ein Krieg der Erzählungen: «Jeder will sein Narrativ, seine Version der Geschichte durchsetzen», so Marie Peltier. Und Nina Jankowicz, die ehemalige Direktorin des US-Ministeriums gegen Desinformation, ergänzt: «Es ging darum, ein Leben aus Spass zu zerstören – spezifisch das Leben einer Frau.»
Der Einfluss auf das Urteil
In den USA fällen Geschworene das Urteil eines Gerichtsprozesses. Sie dürfen während der Prozessdauer keine (sozialen) Medien konsumieren oder an der öffentlichen Debatte teilnehmen. Rechtsanwältin Lisa Bloom bezweifelt, dass diese Regel stets eingehalten wird.
«Angesichts der massiven Unterstützung für Johnny Depp und der Verhöhnung von Amber Heard mussten die Geschworenen mit einer geballten Ladung Hass rechnen, wenn sie sich für Heard eingesetzt hätten.»
Der Bärendienst
«Wir leben in einer Gesellschaft, in der häusliche Gewalt in Memes verulkt wird», sagt Opferberaterin Farrah Khan. Sie und weitere Aktivistinnen gegen häusliche Gewalt fürchten, dass der Prozess – und erst recht das Urteil – dazu führen, dass sich viele Opfer gar nicht mehr zu äussern wagen.
Was bleibt also zwei Jahre nach dem Prozess? Ein fader Beigeschmack, ein ungutes Gefühl – und: ein Bärendienst an den Opfern häuslicher Gewalt.