Zum Inhalt springen
Video
Strahlende Zukunft? Über Atomwaffen und Kernkraft
Aus Sternstunde Philosophie vom 27.06.2021.
Bild: SRF/Oscar Alessio abspielen. Laufzeit 1 Minute 15 Sekunden.

Atomare Krisen und Gefahren Fünf Schlaglichter auf die Geschichte der Atomkraft

Die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki 1945 waren eine Zäsur: Durch sie wurde die Gewalt der Atomkraft der ganzen Welt vor Augen geführt. Seitdem prägt sie das Weltgeschehen, politisch und gesellschaftlich.

Folgende fünf Geschichten aus fünf Kontinenten werfen Schlaglichter auf Ereignisse und Momente, die unsere Sicht auf die Atomkraft massgeblich geprägt haben – und die uns bis heute nicht loslassen.

Die Web-Dokumentation «Nuclear Games»

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: docmine

Mitmachen, lernen, selbst entscheiden: Mit der interaktiven Webdokumentation «Nuclear Games» erfahren Userinnen und User historische Hintergründe zum Atomzeitalter.

«Nuclear Games» erzählt die globale Geschichte der Atomkraft anhand von fünf Geschichten aus fünf Kontinenten: Uranabbau, die Verbreitung von Atomwaffen, Atombombentests, katastrophale Unfälle sowie das Problem der Atommüll-Entsorgung – ein multimediales Erlebnis mit Manga-Stories, Videos und Animationen.

«Nuclear Games» ist eine Koproduktion des in Zürich ansässigen Studios DOCMINE mit SRG/SRF.

Bikini-Atoll: Ein verstrahltes Inselparadies

Video
Panik statt Paradies auf dem Bikini-Atoll
Aus Kultur Extras vom 27.06.2021.
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 22 Sekunden.

Was war passiert? Die Atombombentests der USA auf dem Bikini-Atoll begannen 1946. Die Tests waren eine sorgfältig inszenierte Machtdemonstration der USA. Durch die Explosionen verwandelte sich die Insel in eine öde, strahlende Sandbank. 1954 explodierte auf dem Bikini-Atoll unter dem Codenamen «Bravo» die stärkste Wasserstoffbombe der USA. 

Was waren die Folgen? Die Amerikaner übersiedelten die Insulaner auf die unfruchtbare Insel Rongerik. Als die Bikinianer dort dem Hungertod nahe waren, brachte man sie auf eine nahegelegene US-Militärbasis. Dann schob man sie auf die ebenso unfruchtbare Insel Kili ab, wo sie jahrzehntelang von Hilfslieferungen aus den USA abhängig waren. Auf der Insel Rongelap, wo radioaktiver Staub der «Bravo»-Bombe niederging, nahm die Zahl der Fehl- und Totgeburten sowie der Missbildungen bei Neugeborenen zu. Kinder kamen zwergwüchsig und behindert zur Welt. Seither hat der Name «Bikini» einen unheilvollen Klang.  

Was ist bis heute ungelöst? Der radioaktive Niederschlag der Atombombentests verseuchte zahlreiche Inseln in Mikronesien. Die Betroffenen waren Angehörige einer machtlosen Minderheit – «Eingeborene» – deren Leiden von den US-Behörden mit ein paar Entschädigungen abgegolten werden konnten. Die Bikinianer sagen heute, sie seien damals wie Versuchstiere behandelt worden. Bis heute ist unklar, wann die Bikinianer auf ihre Insel zurückkehren können. 

Korea: Der Einsatz von Atomwaffen als Drohung

Video
Kim Jong-un und sein Arsenal an Atomwaffen
Aus Kultur Extras vom 27.06.2021.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 49 Sekunden.

Was war passiert? Nach dem Zweiten Weltkrieg teilten die USA und die Sowjetunion die koreanische Halbinsel entlang des 38. Breitengrades. Der Koreakrieg von 1950 bis 1953 war der erste «heisse» Konflikt im Kalten Krieg. Douglas MacArthur, der Oberbefehlshaber der UN-Truppen, setzte sich vehement für die atomare Bombardierung chinesischer und sowjetischer Städte ein, doch US-Präsident Harry S. Truman stoppte die weitere Eskalation des Konflikts.  

Was waren die Folgen? Der Waffenstillstand von 1953 bedeutete eine Rückkehr zum vorherigen Zustand entlang des 38. Breitengrades. Rund vier Millionen Menschen starben dafür: Die meisten Menschen kamen durch Brandbomben ums Leben. Besonders Nordkorea verwandelte sich in eine Mondlandschaft. Die koreanische Halbinsel ist bis heute gespalten. An einem der ersten Schauplätze des Kalten Krieges dauert der ideologische Konflikt weiter an. 

Was ist bis heute ungelöst? Seit den 1950er-Jahren strebt Nordkorea nach der Atombombe. 2006 zündete das Land seine erste Atomwaffe. 2018 fand ein historischer Gipfel zwischen Donald Trump und Nordkoreas Diktator Kim Jong-un in Singapur statt. Nordkorea gab vor, dass seine Atomraketen mittlerweile auch das US-Festland treffen können. Die Gespräche endeten mit der vagen Vereinbarung einer «umfassenden» atomaren Abrüstung. 

Kuba: Ein Knopfdruck von der totalen Zerstörung entfernt

Video
Kubakrise – am Rande eines Atomkrieges
Aus Kultur Extras vom 27.06.2021.
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 26 Sekunden.

Was war passiert? Die Kubakrise ist als der heisseste Moment des Kalten Krieges in die Geschichte eingegangen, bei dem die Welt an den Rand eines Atomkriegs geriet. Nachdem die USA 1959 in Italien und in der Türkei Atomraketen aufgestellt hatten, begann die Sowjetunion 1962 ihrerseits mit deren Stationierung auf Kuba. Die Situation drohte zu eskalieren. 

Was waren die Folgen? Die Welt war nur ein Knopfdruck von der totalen Zerstörung entfernt. Ein läppischer Zufall, ein Versehen, ein Missverständnis oder schlicht der Nervenzusammenbruch eines Einzelnen hätten einen weltweiten Atomkrieg auslösen können. Chaos, Stress und Kommunikationsprobleme waren unvermeidlich. Es gab zahlreiche brenzlige Situationen: unklare Befehle, falsche Informationen, Fehlalarme, Pannen und irrtümliche Raketenstarts. 

Was ist bis heute ungelöst? Die Überwindung der Kubakrise führte ab 1963 zur Entspannungspolitik zwischen den Supermächten. Beide Seiten trafen Vorkehrungen, um einen unautorisierten Einsatz von Atomwaffen zu verhindern. Der Rüstungswettlauf beschleunigte sich trotzdem weiter. Ende der 1960er-Jahre wurde das mehrfache gegenseitige Zerstörungspotenzial erreicht. Im Kalten Krieg hielten sich die beiden Supermächte in einer Art Pattsituation gegenseitig in Schach. Heute rivalisieren jedoch mehrere Grossmächte in einer multipolar gewordenen Welt in einer Vielzahl regionaler Konflikte. 

Tschernobyl: Ein Unfall mit fatalen Folgen

Video
Atomkatastrophe in Tschernobyl
Aus Kultur Extras vom 27.06.2021.
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 3 Sekunden.

Was war passiert? Am 26. April 1986 ereignete sich im Atomkraftwerk Tschernobyl die bisher grösste von Menschen verursachte technische Katastrophe. Durch Bedienungsfehler, menschliches Versagen und einen fatalen Konstruktionsfehler des Reaktors lief ein Sicherheitstest aus dem Ruder. Es kam zur Kernschmelze. Eine Explosion sprengte die Reaktordecke weg und schleuderte riesige Mengen radioaktiven Materials in die Atmosphäre. 

Was waren die Folgen? Zehntausende Menschen wurden radioaktiv verstrahlt. Rund um das Atomkraftwerk wurde eine Sperrzone von 30 Kilometern errichtet. Insgesamt rund 350’000 Menschen wurden umgesiedelt. Zwischen 600’000 und 800’000 Liquidatoren wurden zum Aufräumen in die Strahlenzone geschickt. Radioaktive Strahlung kann Krebs, Missbildungen und genetische Schäden auslösen. Die Zahl der Erkrankungen und Todesfälle, die direkt mit dem Unfall in Verbindung gebracht werden kann, ist Gegenstand erbitterter Debatten.  

Was ist bis heute ungelöst? Die Reaktorruine wurde durch einen «Sarkophag» ummantelt. 2016 musste die Schutzhülle erneuert werden. Deren Betrieb verschlingt jährlich rund 8 Millionen Euro, die von der Ukraine bezahlt werden müssen. Der Abbau des geschmolzenen Reaktorkerns wird noch viele Jahre in Anspruch nehmen. Bis die letzten Überbleibsel der Reaktorkatastrophe unschädlich geworden sind, werden noch unzählige Generationen vergehen. 

Niger: Der Uranabbau und seine Folgen

Video
Elend in den Uran-Minen im Niger
Aus Kultur Extras vom 27.06.2021.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 16 Sekunden.

Was war passiert? Uran, der Brennstoff für Frankreichs 57 Atomkraftwerke, stammt grösstenteils aus der afrikanischen Wüste. Im Norden Nigers, wo früher die Tuareg mit ihren Kamelherden lebten, liegen riesige Uran-Vorkommen. Die Minen in der Sahelzone gehören zu den grössten Uranminen weltweit. Pro Jahr werden im Niger zwischen 3000 bis 4000 Tonnen gefördert. Das entspricht etwa sieben Prozent der jährlichen weltweiten Uranförderung.  

Was waren die Folgen? Den Tuareg, die bisher in dem Gebiet als Nomaden mit ihren Kamelen lebten, wurde eine goldene Zukunft versprochen. Sie wurden sesshaft gemacht, um sich als Arbeitskräfte in den Minen zu verdingen. Man versprach ihnen, aus den beiden unmittelbar neben den Uranminen errichteten Retortenstädten Arlit und Akokan «das Paris der Sahara» zu machen. Bis heute gibt es dort weder Teerstrassen noch fliessendes Wasser, nur ebenerdige Hütten und rotbrauner Staub, der alles durchdringt. 

Was ist bis heute ungelöst? Vom Uranabbau haben hauptsächlich der französische Betreiber Areva und die einheimische Regierung im Süden Nigers profitiert. Den Tuareg blieb der Schaden: die Schürftätigkeit kontaminiert ihr Land mit radioaktivem Abraum und Staub. Unter den Minenarbeitern häufen sich Krankheiten und Todesfälle. Uran und andere Schwermetalle verseuchen das Grundwasser, was in dem wasserarmen Gebiet ein grosses Problem darstellt. 

Michael Fischer

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Michael Fischer, geb. 1981, studierte an den Universitäten Bern und Luzern Philosophie, Geschichte und Ethnologie. 2019 veröffentlichte er beim Verlag Hier und Jetzt das Buch «Atomfieber. Eine Geschichte der Atomenergie in der Schweiz». An der SRG-Webdok «Nuclear Games» war er als Autor und historischer Berater beteiligt.

SRF 1, Sternstunde Philosophie, 27.06.2021, 10:45 Uhr

Meistgelesene Artikel