«Wer hat, dem wird gegeben»: Die landläufige Redensart ist heute wieder heiss diskutierte Politik. Auch das Theater mischt sich in die Auseinandersetzung ein. Im Schauspielhaus Zürich hat das Thema «Ungleichheit» die Hauptrolle im Monat Mai.
Wie lebt man richtig? Es ist diese Mutter aller Fragen, die den Schriftsteller und Dramaturg Lukas Bärfuss am Thema «arm und reich» interessiert. «Wann hat man das Gefühl, es sei ein reicher Tag gewesen, ein reicher Moment, und wann bin ich zufrieden? Wann fühle ich mich arm? Und wie steht das im Zusammenhang mit meinem relativen oder meinem absoluten Reichtum?» Wem da Erinnerungen anklingen an die Worte eines Pfarrers liegt nicht ganz falsch. Es geht Lukas Bärfuss um Werte und um den Wertewandel in der westlichen Gesellschaft.
Schlaglichter auf die Ungleichheit
Und der fängt beim Einzelnen an. Die drei Einakter, die den Schwerpunkt «Arm und reich – Schlaglichter auf die Ungleichheit» im Schiffbau eröffnen, halten denn auch dem Einzelnen den Spiegel vor und fragen, was die Ungleichheit mit uns macht.
Der österreichische Autor Klaus Händl hat dazu seine eigene Erfahrung: «Das grosse Geld kann auch eine Last sein. In meinem Freundeskreis gibt es ein paar sehr reiche Leute. Da kommt es regelmässig zu so tragisch-komischen Szenen. Sie sind beispielsweise immer total unsicher, ob sie mir, dem bescheiden lebenden Autor, das Essen im Restaurant bezahlen sollen oder eben gerade nicht, um mich nicht zu beleidigen.»
Reichtum als Bürde
In seinem Stück «Rechne» (Regie: Sebastian Nübling) geht es dann allerdings nicht um episodische Verlegenheiten, sondern um einen Akt in der Gewissensberuhigungs-Industrie. Tatsächlich empfinden zwei milliardenschwere Ladies ihren Reichtum als Bürde. Vom Wissen um die Ungerechtigkeiten in der Welt und von ihrem Skrupel geplagt, gründen sie eine Stiftung. Was nach Wohltätigkeit klingt, entpuppt sich rasch als Macht- und Unterhaltungsspiel. Aus dem Tun schaut schliesslich nichts heraus als die eigene Befriedigung – und diejenige der Finanzberater. Ein leichtes, clowneskes Stück, in dem die Reichen über die Bühne tanzend zwar viel in Bewegung sind und munter tun, aber eigentlich als Gefangene ihres Vermögens erscheinen.
Arm und reich als Klischees
Der Autor Michail Schischkin setzt in «Nabokovs Tintenklecks» (Regie: Bastian Kraft) ein Stück Biografie um. Der brotlose russische Schriftsteller muss einen ehemaligen Kommilitonen als Dolmetscher begleiten – genau so, wie Schischkin selbst es einmal tun musste um zu dringend benötigtem Geld zu kommen. Zur Ausstattung des Auftraggebers gehört eine Blondine und viel Geld, das nach Korruption stinkt. Die soziale Hierarchie ist gesetzt, genauso wie die moralische. So scheint es zumindest zu Beginn der gemeinsamen Reise. Doch dann vermischen sich in der Inszenierung nicht nur die Identitäten der beiden Männer, sondern zusehends auch Gut und Böse.
Neid erwacht im Schriftsteller, Zweifel an seiner moralischen Überlegenheit. «Arm und reich sind Klischees. In meinem Text wollte ich diese Klischees zerstören oder überwinden. Bei der Frage, was unser Leben ärmer oder reicher macht, geht es um ganz andere Dinge,» meint Michail Schischkin.
Schuld und Schulden
In Lukas Bärfuss’ «Die schwarze Halle» (Regie: Barbara Frey) geht es dann darum, worum es gehen könnte. Natürlich nicht um den Saldo auf dem Bankkonto. Sondern vielleicht um den Saldo, wenn wir Bilanz ziehen über unsere Beziehungen. In dem als schnörkelloses Rededuell inszenierten Stück interviewt die ehrgeizige Journalistin einen reichen Guru, der den Menschen die Aussicht auf inneren Frieden und Freiheit verkauft.
Im Versuch, ihn seiner Lügen und Tricks zu überführen, zeigen sich die Risse im erfolgreich scheinenden Leben der Frau, genauso wie sich Abgründe beim Seelenkäufer öffnen. «Schuld und Schulden hat im Deutschen einen grossen Zusammenhang», sagt der Autor. «Wenn wir arm und reich nur wirtschaftlich definieren, greift das viel zu kurz.» Es gehe ihm natürlich nicht darum, die Folgen der absoluten Armut zu negieren. Oder das Bild von «arm aber glücklich» zu propagieren. Aber die Welt, die das Glück sucht, indem sie nach dem simplen Rezept von Reichtums-Vermehrung kocht, sei zur Umwertung gezwungen. «Kaum jemand glaubt noch daran, dass das permanente Wachstum weitergeht. Unsere Kinder werden ihr Glück anders definieren müssen als mit materiellem Reichtum.»
Der Abend bietet drei unterschiedliche Perspektiven auf das Thema «arm und reich»: einmal der Blick von oben auf die da unten. Einmal der Blick von unten auf die da oben. Und einmal auf Augenhöhe. Es gibt etwas zum Lachen, es gibt etwas zum Ärgern – dann, wenn etwas gar viel Pathos reinrutscht – und es gibt etwas zum Nachdenken. Wer wem was und wie viel schuldet, dafür gibt’s keine automatisch erhältlichen Bilanzen.