Wer hätte das gedacht: ein echtes Auto im Zirkus. Es fährt, hupt und stinkt. Und es bleibt in der Manege, fast während der ganzen Vorstellung des Cirque Aïtal. Der rote Simca gehört dem Artistenpaar Kati Pikkarainen und Vincent Cathala. Die beiden erzählen in ihrer neusten Produktion von ihrem Leben als Artisten und als Paar.
Kennengelernt haben sich der hünenhafte Franzose mit den dunklen Locken und die zierlich kleine Finnin mit der blonden Kurzhaarfrisur an einer Artistenschule. Sie stammt aus einer Zirkusfamilie, er wollte ursprünglich Bauer werden. Seit jenen Tagen sind die beiden ein Liebespaar.
Metapher fürs Unterwegssein
Es ist ihre eigene Geschichte, die sie erzählen. «Pour le meilleur et pour le pire», «In guten wie in schlechten Zeiten», heisst ihr Programm - angelehnt ans Hochzeitsversprechen. Der rote Simca dient ihnen als Metapher fürs Unterwegssein – ihrem Los als Zirkusartisten. Zugleich ist er zentrales Bühnenelement: Handlungsort, Umkleidekabine, Requisitenschrank und Felsklippe.
Ihr Programm beginnt damit, dass Kati den Brautstrauss zum Autofenster hinauswirft. Kurz darauf gibts den ersten Beziehungsknatsch.
Szenen einer Ehe
Cirque Aïtal gehört zum Nouveau Cirque, einem Genre, das theatrale Geschichten mit den Mitteln der Zirkuskunst erzählt. Worte gibt es bei Kati Pikkarainen und Vincent Cathala kaum, dafür einen fast durchgehenden Soundtrack: das Autoradio. Es wird zur Tonspur ihrer Beziehungs-Erkundung.
Sie erzählen von Streit, Keifereien, Versöhnung und Sinnlichkeit. Szenen einer Ehe sinds; eine durchgehende Handlung gibt es nicht. Als roter Faden dient ihnen das Leben «on the road». Stationen sind der Strand, ein Badmintonspiel, eine Rauchpause. Und natürlich die Zirkusmanege.
Dialog durch Körper
Mit ihren Körpern erzählen sie ihre Geschichte; durch ihr artistisches Können entspinnt sich ein Dialog. Dabei haben sie die klassische Rollenaufteilung: Er sichert am Boden und schleudert sie durch die Luft. Sie vollführt Salti, Handstand und andere Abenteuerlichkeiten.
Dieses Kräfte-Ungleichgewicht lässt Spielraum für Emotionen. Mal trägt er sie bildlich auf Händen, dann wiederum lässt er sie fallen – fast. Im letzten Moment hält er sie doch noch. Sie wiederum rappelt sich blitzschnell auf. In diesem Timing liegt Erzählpotenzial. Das schöpfen die beiden geschickt aus - ihre akrobatischen Einlagen sind Ausdruck einer grandiosen Körperbeherrschung.
Zirzensische Fotoromanza
Doch damit nicht genug: Nach den artistischen Leistungen gibt es immer wieder ruhigere Passagen. Der Hund des Paares taucht auf – und vollführt Kunststückchen. Wunderbar zum Beispiel ist auch jene Szene, in der Kati und Vincent im Auto sitzen.
Man sieht sie streiten, sich versöhnen, sich annähern – in Standbildern, eingefroren im Moment. Dazwischen wird es immer Stockdunkel. Das erzeugt einen Effekt, als würde man Fotos anschauen: eine zirzensische Fotoromanza.
Federleicht wirkt «Pour le meilleur et pour le pire». Dahinter jedoch steckt viel Kraft, Konzentration und Hingabe – eigentlich ein Sinnbild für eine gelungene Liebesbeziehung.
Theaterspektakel: Empfehlungen
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Bild 1 von 7. «Ich liebe spannende Geschichten»: Sandro Lunin, Künstlerischer Leiter des Theaterspektakels. Klicken Sie weiter für seine Empfehlungen aus dem diesjährigen Programm. Bildquelle: Theaterspektakel.
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Bild 2 von 7. Faustin Linyekula & Studios Kabako: Der kongolesische Tänzer und Choreograf wagt sich in verschwundene, vergessene Welten. Erfolgreich in Frankreich, kehrte er für «Drums and Digging» in seine Heimat zurück. Aufführung: Werft, Mo 19. bis Mi 21.8. Bildquelle: Theaterspektakel.
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Bild 3 von 7. Faustin Linyekula & Studios Kabako: In «Drums and Digging» zeigen die Schauspielerinnen und Tänzer das Ergebnis ihrer Reisen an die Orte ihrer Kindheit im von Bürgerkriegen zerstörten Kongo. Ein leiser poetischer Abend über ein entschwundenes Afrika. Bildquelle: Theaterspektakel.
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Bild 4 von 7. Faustin Linyekula & Studios Kabako: In seiner Heimat, der Demokratischen Republik Kongo, gründete Faustin Linyekula ein Kulturzentrum, aus dem «Drums and Digging» entstand. Bildquelle: Theaterspektakel.
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Bild 5 von 7. Selma & Sofiane Oussi: Das Geschwisterpaar stammt aus Tunesien. Ihre Performances siedeln sie im öffentlichen Raum an, und haben sich damit in der arabischen Tanzwelt einen Namen gemacht. Aufführung: Nord, Di 27. und Mi 28.8. Bildquelle: Theaterspektakel.
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Bild 6 von 7. Selma & Sofiane Ouissi: Für das Stück «Laaroussa», das am Theaterspektakel gezeigt wird, haben sie sich bei der Arbeit von Töpferinnen im armen Norden Tunesiens inspieren lassen und eine minimalistische Choreographie gezaubert. Bildquelle: Theaterspektakel.
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Bild 7 von 7. «Short Pieces»: In einer der Spezialitäten des Festivals gibt es echte Entdeckungen von jungen Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt. Moe Satt aus Myanmar zeigt eine Performance mit 108 Gesten, die er nur mit seinem Gesicht und seinen Händen entstehen lässt. «Short Pieces» mit Moe Satt und Eisa Jocson: Do 22. bis Sa 24.8. Bildquelle: Theaterspektakel.