Der Mittelpunkt der Welt ist eine Imbissbude, irgendwo an einem Bahnhof. Das gilt zumindest für «Söhne», die aktuelle Produktion der Basler Volksbühne. Man hört Züge vorbeidonnern und von der Decke tropft Wasser.
Der Kellner (Robert Baranowski) trocknet geduldig die Pfützen und richtet Sandwiches an. Ein nervöser Typ mit Koffer und einem Strauss Wiesenblumen (Nadim Jarrar) setzt sich und bestellt Kaffee. Ein zweiter Gast in Shorts und Sandalen (Orhan Müstak) folgt, geplagt vom pausenlosen Klingeln seines Handys. An einem dritten Tisch lässt sich ein Akkordeonist (Arjin Haki ) nieder.
Später taucht – aus dem Getränkekühler – ein Geigenspieler (Delchad Amad) auf. So sieht eine alltägliche Gemeinschaft von Passanten aus. Sie sind moderne Wanderer, die der Zufall zusammengewürfelt hat.
Emigration als wesentliche Erfahrung
Dass die fünf Spieler und Musiker Namen tragen, die einen Migrationshintergrund vermuten lassen, ist nur bedingt Konzept der Basler Volksbühne. «Emigration ist eine zentrale Erfahrung des heutigen Lebens», sagt Regisseurin Anina Jendreyko. «Vom Dorf in die Stadt, von einem Land ins andere, gewollt oder ungewollt: Es verändert die Menschen und ihre Lebensgeschichten, und das interessiert mich».
Die in Berlin ausgebildete Theaterschaffende hat in den letzten 15 Jahren in Deutschland, Griechenland und der Türkei gelebt. Heute ist sie in Basel zuhause. Aus ihren vielen Begegnungen mit anderen Kulturen hat sie Geschichten gesammelt und verdichtet. «Hinter der Frage nach Herkunft und Heimat öffnet sich immer ein Raum», sagt Anina Jendreyko. In diesem Raum finde sie all die Geschichten, die sie im Theater erzählen möchte. Weil das Theater, so ihre Überzeugung, die Begegnung und die Auseinandersetzung mit der kulturellen Vielfalt ermögliche.
Von Vätern und Müttern, Kummer und Liebe
So kommen die drei Gäste auf der Bühne, begleitet von atmosphärisch passender Musik, ins Gespräch. Der Mann mit den Blumen fragt sich, woran er die richtige Frau fürs Leben erkennen soll. Der Handymann ist ältester Sohn einer türkischen Familie. Vom Vater verstossen sucht er nach seinem Weg. Auch der Kellner steuert Fragmente aus seinem Leben bei, etwa die Erinnerung aus Kindheitstagen, als er seine betrunkene Mutter in einer Wiese liegend fand.
Vielmehr als um die kulturelle Verwurzelung, so stellt sich heraus, geht es hier um die Erfahrungen und Prägungen durch Vorfahren und Eltern. Um Leidenschaft und Liebe und die grossen Fragen des Lebens, deren Ursprung keine Nationalität aufweist. Den Männern zuhören, deren Geschichten sich plötzlich zu berühren und überschneiden scheinen, macht die Welt sichtbar als ein sich ständig veränderndes Gebilde aus Traum und Geschichte, Erinnerung und Fiktion.