Was ist das? Ein Bärengraben? Eine Stierkampfarena? Oder ein Duellplatz? Das Publikum im Chapiteau auf der Landiwiese sitzt auf Holzbänken und schaut auf die Bühne hinab: Ein Rondell mit Wänden. Im Dunkel löst sich ein Pistolenschuss, dann begrüsst ein weisser Clown die Zuschauer.
Aus klein wird gross
Subito verwandelt sich der Ort in eine Art Leichenschauhaus. Der Clown und sein Kollege ziehen drei Gestalten aus Schubladen in den Wänden. Skurrile Wesen liegen darin: kreidebleich, mit verzerrten Gesichtszügen und roten Ohren.
Kaum aus der Enge befreit, bewegen sie ihre steifen Glieder – werden agil und klettern sogleich aufeinander. Der Menschenturm reicht hoch bis zur Industrielampe am Zeltdach. Die gerade noch kleinen Gestalten sind nun riesengross. Die Botschaft ist klar: Beim Cirque Trottola ist alles eine Frage der Perspektive.
Was ist wahr?
«Ich bin ein Prinz!», verkündet eine kleinste Artistin wenig später. «Prinz? Prinz eines zersplitterten Königreichs», kontert eine andere Figur, «wo sind deine Paläste?» Diese Szene ist typisch für die Produktion «Matamore»: Was ist wahr, was ist Einbildung? Und mehr noch, was sind das für Gestalten?
Die insgesamt fünf Artistinnen und Artisten spielen wechselnde Rollen. Alle sind Matamores, jene Figuren aus der Commedia dell'arte, die der Produktion den Titel verleihen. Ein Matamore ist ein Aufschneider, ein Maulheld, ein Grosskotz und ein Kriegstreiber.
Viel Gehabe, wenig Handlung
«In allen Gesellschaftsschichten begegnet man solchen Aufschneidern», meint der dänische Jongleur Mads Rosenbeck. Das habe die Zirkusleute angesprochen. Da solche Matamores meist Männer seien, spielen auch die Frauen in der Produktion Männerrollen: Ziemlich lächerliche Figuren mit Waffen, Drohungen und dem ganzen Gehabe.
«Matamore» erzählt keine eigentliche Geschichte. Zusammengehalten werden die einzelnen Szenen durch die Figuren – diese multiplen Matamores, die trotz oder gerade wegen ihrer Attitüde irgendwie verloren scheinen.
Goliath und David
Was beeindruckt, ist die Zirkuskunst der Artisten: Da hebt ein Goliath den kleinen David schwerelos auf seinen Kopf, da wirbelt Jongleur Mads Rosenbeck mit Pistolen durch die Luft, dass einem fast schwindelig wird, und da köpft ein Clown mit einer Peitsche Blumen, haarscharf an den Gesichtern des Publikums vorbei.
Insgesamt ist die Produktion mit fast zwei Stunden jedoch zu lang. Manche Szenen wollen kein Ende nehmen, andere machen es wieder wett.
Das Rondell als Zwischenreich
Wunderbar sind die Gestalten in Frauenkleidern und Halbmasken, die aus dem Nichts auftauchen, um eine ellenlange Leiter zu positionieren. Dann gehen sie wieder ab – nur, um kurz darauf wieder zu erscheinen. Das sind surrealistische Bilder, die an die Ästhetik von Träumen gemahnen.
Betörend ist auch eine lebensgrosse Pappfigur, die gekonnt um eine Reckstange gedreht wird und Kunststücke vollführt, als würde sie leben. In solchen Momenten wird klar, was das Bühnenrondell darstellt: Es ist ein Zwischenreich, in dem Sein und Schein eins werden.