Charles Lewinskys «Melnitz» ist ein Erfolg: Das Buch wurde bereits mehrfach aufgelegt und in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt. Lewinsky erzählt in dem 750-Seiten-Roman das Auf und Ab einer jüdischen Familie von 1871 bis 1945, eine Familiengeschichte, in der sich die politische Geschichte widerspiegelt. An einem der Orte des Geschehens im Roman gibt es nun eine Dramatisierung desselben zu sehen: in Baden.
Die Geschichte der Familie Meijer
Melnitz erzählt die Geschichte der Familie Meijer, Meijer nicht mit ei oder gar ey, Meijer mit ij, wie Jud. Über vier Generationen folgen wir ihr, angefangen an jenem denkwürdigen Abend im Jahr 1871, als es unversehens stürmisch klopft an der Haustür des Endinger Viehhändlers Salomon Meijer.
Über 750 Seiten breitet Lewinsky das Panorama dieser Familie aus, in den Irrungen der Liebe, den Wirren der Zeiten, vom Judendorf Endingen über die kleine Stadt Baden in die grosse Stadt Zürich, vom rustikalen Viehhandel über das französische Tuchgeschäft zum eleganten Warenhaus, vom deutsch-französischen Krieg zum Ersten und Zweiten Weltkrieg, vom dörflichen Antisemitismus zum Holocaust; durch kleine Freuden und grosse Gefährdungen. Im ganzen Auf und Ab ist immer auch Melnitz dabei, der vor Zeiten verstorbene Onkel, der alles weiss und alles kommentiert
750 Seiten in knapp drei Stunden
Doch wie lässt sich ein derart breites Panorama, wie lassen sich die 750 Seiten des Romans in den Guckkasten einer Theaterbühne und die knapp drei Stunden einer Aufführung pferchen? Eine Aufgabe, die gut gelöst wurde im Kurtheater in Baden. Gewiss bleibt der eine oder andere Romanstrang auf der Strecke, Zwischentöne werden klar ausgedeutet und manches, das im Roman erst in der Schwebe bleiben kann, muss auf der Bühne rasch ausgedeutscht werden. Aber: Es funktioniert. Auch wenn die Dramatisierung eines Romans natürlich die Romanlektüre nicht ersetzen kann, wie die Figuren selber wissen – und dem Publikum erklären, dass man das eine oder andere halt einfach im Buch nachlesen müsse.
Die Regisseurin Adriana Altaras stellt neben gespielte Dialoge erzählende und kommentierende Passagen und szenische Zeichen: klare, vielsagende Spielhaltungen. Sie inszeniert «Melnitz» mit einem sehr direkten, auch schelmischen Charme, der bestens zur Tonlage des Romans passt. Und sie hat das Glück, dass sie ein ungemein spielfreudiges Ensemble zur Hand hat: vier Schauspielerinnen und fünf Schauspieler, die sich in fliegendem Wechsel die Vielzahl der Rollen teilen und in aller skizzenhaften Kürze die Stimmung der Erzählung und die Charaktere der Figuren humorvoll treffen.