Es regnet wie aus Kübeln, und das mitten im Januar. Nicht nur der Winter ist nicht mehr, was er einmal war - überhaupt nichts ist mehr wie früher. Vor einem riesigen akkurat geschichteten Holzstapel kommt ein halbes Dutzend Dorfbewohner in bierseliger Wiederholung zusammen: Sie ziehen am Rösslistumpen, rauchen Kette, und wenn sie nicht gerade Trübsal blasen wie der schweigsame Dorffriseur, berichten sie von Felsstürzen und Lawinen. Sie erzählen von ungeliebten Nachbarn oder von jener legendären Jagd, die um ein Haar in einer Katastrophe geendet hätte.
Viel Gefühl: Vom Jähzorn bis zum Katzenjammer
Die Jahreszahlen und der liebe Gott geben immer wieder Anlass für kleine Scharmützel, und auch mit der Erinnerung ist es eine Qual. Wer korrekt Auskunft geben könnte, den hat längst der Teufel geholt. Und so ist der Tod auch der heimliche Regisseur dieser Veranstaltung, die sich «Austrinken» nennt. Die vom Leben gezeichneten Teilnehmenden werden durch alle erdenklichen Gefühlszustände geschickt, von der Euphorie über den Jähzorn bis zum Katzenjammer.
Fein komponierte Lokalnostalgie
Link zur Aufführung
Arno Camenisch hat in seiner hundertseitigen Erzählung «Ustrinkata» die Stimmen eines kleinen Bündner Dorfes orchestriert, die gemeinsames Zeugnis von vergangenen Zeiten ablegen. Seine Prosa besticht durch die schnörkellose Sprache und die theatralische Figurenzeichnung. Der Autor schaut seinen Geschöpfen genau aufs Maul, lässt sie wohldosiert schwärmen und fluchen und hält das schwierige Gleichgewicht zwischen Lokalnostalgie und universaler Gültigkeit.
Trivial und plump
Dass dieser Prosatext auf die Bühne kommen muss, ist ein nachvollziehbares Begehren, scheinen die knorrigen Ottos und Gions doch wie gemacht für knarrende Bühnenbretter. Der Transfer kann aber auch schief gehen, und am Konzert Theater Bern geht er schief.
Von Beginn wird die Handlung plump bebildert. Die Figuren stecken in bunten Hawaiihemden und altmodischen Trevirahosen, das Bühnenbild wird im ersten Teil des zweistündigen Abends mit sinnlosem Holzumstapeln derart überstrapaziert, dass man nur wenig vom Text mitbekommt. Ausserdem stolpern neben den vier Schauspielerinnen und Schauspielern vier ältere Statisten über die Bühne, die den Erfordernissen des Auftritts nicht gewachsen sind.
Weniger ist mehr
Regisseurin Maria Ursprung und Dramaturg Jan Stephan Schmieding scheinen dem zu misstrauen, was sie an Camenischs «Ustrinkata» offensichtlich fasziniert. Die Inszenierung kann dabei kaum über die Kitschgrenze hinauswachsen und ist dort am stärksten, wo sie einfach Geschichten erzählen lässt.
Der stumme Isidor, der als Indianer verkleidete Musiker Herwig Ursin, ist es, der hinter seinen Tasteninstrumenten verschanzt den passenden Ton liefert und die verfehlte Schräglage perfekt intoniert.