Ein Schiff im Schiffbau. Der Bühnenbildner Bert Neumann hat eine riesige Holzarche in die Halle des Schiffbaus gebaut. Dahinter ein glitzernder Lametta-Vorhang, durch den zuerst das Publikum gehen muss, um zu seinen Plätzen kommen, und durch den danach auch die Schauspieler auftreten – und nach 80 erfüllenden Theaterminuten wieder verschwinden.
Theatershow und Textgewitter
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Seit Ende der 1990er-Jahre, als er am Luzerner Theater mit einer regelmässigen Theater-Soap Furore machte, ist René Pollesch, Autor und Regisseur in Personalunion, als einer der stilbildenden Regisseuren des deutschsprachigen Theaters unterwegs. Sein Markenzeichen ist, dass er Theorie auf die Bühne bringt. Er erzählt keine Geschichten im landläufigen Sinne, und in seinem Theater gibt es keine Bühnenfiguren, die versuchen etwas über ihre Psychologie auszusagen.
Vier Schauspieler und ein Chor sind auf der Bühne. Und sie präsentieren und demontieren die weit verbreitete Vorstellung, dass es so etwas wie Innerlichkeit gibt. Dass innere Werte den Menschen ausmachen könnten, dass wir Individuen sind, weil wir einen Geschmack, Gefühle, Erlebnisse haben. Dass wir unabhängig von unseren Bezugsgruppen (hier der Chor) etwas ganz eigenes sind. Nein, sagt René Pollesch, was gilt ist – nur – das Aussen. Und das ist mehr als genug.
Intelligentes Entertainment
Schnell geht es in den Abenden von René Pollesch zu. Da werden Argumentationsstränge entwickelt, Gedankenexperimente gewagt, da wird Popkultur und kulturelles Allgemeingut zitiert – und wer nicht alles auf Anhieb versteht, ist in guter Gesellschaft.
Dabei sind die Theorien von Robert Pfaller oder Slavoj Žižek für René Pollesch Gebrauchsliteratur: Lesehilfen, um die Wirklichkeit zu verstehen. Zu welchen Assoziationen und Gedankengänge ihn und seine Schauspieler die Lektüre gebracht haben, das kommt dann in einem rasenden Text-Potpourri auf die Bühne, ein Textgewitter, das so unterhaltsam wie klug, über das Publikum hinweg prasselt.
Wuchtige Argumentationen
Auch Polleschs neuster Abend zeigt, dass Gesellschaftskritik und Theaterspass, problemlos zu einander passen. Denn was ihn – und die Welt – sozial und politisch umtreibt, bezieht er auch ganz konkret aufs Theaterspiel.
Nicht die Identifizierung wird hier gesucht, sondern die konkrete Realität der Bühne, des Jetzt. Und das schliesst keineswegs aus, sich in etwas hinein zu phantasieren, um ohne Vorwarnung, die Luft aus der Illusion grad wieder herauszulassen. Das Schiff nimmt Fahrt auf. Und bleibt doch ein Holzungetüm, das vorgibt, Sinn für die Zürcher Theaterhalle zu produzieren. Für beides gibt es gute Argumente.