«Es si alli so nätt» - wer über 40 könnte diesen Refrain nicht mitsingen? «Dr Schöppelimunggi u dr Houderebäseler si einischt spät am Aabe...» - wer über 40 kennt nicht einige Zitate aus dem «bärndütsche Gschichtli»?
Franz Hohler hat sich mit seinen Liedern, Kabarettnummern, Radio- und Fernsehsatiren, Kinderbüchern und Erzählungen tief ins kollektive Gedächtnis der Schweizerinnen und Schweizer eingegraben.
Beim Notieren meiner eigenen Berührungspunkte mit Hohlers Werk wurde die Liste erstaunlich lang. Ich vermute, dass sie bei vielen Landesgenossen im mittleren Alter ähnlich aussähe.
Zwischen «I säge nüüt» und dem «Totemügerli»
Die ersten Erinnerungen gehen bei vielen in die 70er Jahre zurück, zur Kindersendung «Franz und René» im Schweizer Fernsehen. Zu diesem ungleichen Paar, in welchem der eine, Franz, endlos plappert, während der andere, René, immer nur sagt: «I säge nüüt.»
Mein erstes Hohler-Erlebnis war dagegen das Heftchen «Sprachspiele» des Schweizerischen Jugendschriftwerks (SJW). Lustvoll demontierte mir Franz Hohler die in harter Arbeit angelernten Sprachregeln und verführte zum freien Spiel mit Lauten, Buchstaben und Worten. Welcher Pilzname existiert tatsächlich: Die «Bauchwehkoralle» oder der «kommune Pfaffenschlumpf»? Wo liegen der «Chlotzhoger» oder das «Schmürzlital»?
Seit diesem Büchlein ging ich nicht nur auf Wortreisen, sondern als einer von vielen mit dem «Totemügerli» hausieren - bis es irgendwann sogar mit der rätoromanischen Version «Il malur da la fuorcla» genug war.
Das Unheimliche und Unerwartete
Mein grünes Gymnasiastenherz regte sich erfreut, als die Stadt Zürich in Franz Hohlers visionärer Erzählung «Die Rückeroberung» in kleinen Schritten, aber unaufhaltsam von der Natur übermannt wird: Bären, Wölfe, dichter Urwald und die überlebenden Menschen, die sich auf ein neues, gefährliches Leben einstellen müssen.
Das Unheimliche und Unerwartete, das sich ganz zufällig aus dem vertrauten Alltag heraus einstellt: Das ist eines von Franz Hohlers wiederkehrenden Motiven. So wie der Satz «Das ist der Rand von Ostermundigen» in der gleichnamigen Erzählung aus dem Jahr 1973. Plötzlich ist der Satz anstelle des erwarteten Gesprächspartners im Telefon zu hören, niemand weiss von wem, verbreitet sich über die Zeitungen, Radios, Reden und das Fernsehen in die Köpfe und Ängste der ganzen Bevölkerung und ist nicht mehr auszulöschen.
Gibt es keine Alternative zum eingeschlagenen Kurs unserer westlichen Lebensweise? Sind wir auf einem guten Weg? Diese Fragen stellt Franz Hohler nie direkt. Bissig und entlarvend detailliert schildert er uns einen Zustand, eine Beobachtung, eine Begebenheit und drückt unsere Nase da hinein, wo es stinkt.
«I ha jetz gnue»
Das Programm «Der Flug nach Milano» aus dem Jahr 1985 ist eine Flugzeugentführung mit dem Publikum als Fluggäste. Und was will er, der Luftpirat Franz? Er hat genug Kabarett und Kleinkunst gemacht, um begriffen zu haben, dass er damit nichts erreicht. Jetzt muss gehandelt werden: «Die Schweiz» müsse offiziell in «das Schweiz» umbenannt werden, weil wir unser Land nicht mehr wie etwas Lebendiges, sondern nur noch wie eine Sache behandelten. Düster, eindrücklich und doch tauglich für das Grosse Lachen.
Mit diesem Programm wurde mir bewusst, wie politisch engagiertes Kabarett und Humor verbunden sind, nämlich über den Aberwitz, über die Realsatire: Gewaltige Bergbäche mit stolzen Namen wie «la Maggia» oder «la Verzasca» sind dank Stauseen zu sogenannten «Restwassermengen» degradiert. Die Fische? «Böööh, dasch doch gliich. Fisch ghören i d Tiefchüeltrue!»
Geisterbeschwörung am Lagerfeuer
Das Aufrütteln, die eindrücklichen Geschichten, die Weltverbesserung: Das wollte ich auch. Ich sang «le déserteur» von Boris Vian nicht nur im Original, sondern auch in Franz Hohlers Mundartversion «Dr Dienschtverweigerer». Im Jugendnaturschutzlager haben wir nachts am Lagerfeuer mit den Kindern alte Schweizer Geister und Sagengestalten beschworen mit Hilfe von Hohlers «Geischterlied»: «Schwarze Chüejer, isige Fürscht, Sennetuntschi, Strägglen und Dürscht». Sein «Kabarettbuch» war lange Zeit stets zur Hand.
«Der neue Berg»
1989 kam Hohlers Roman «Der neue Berg» heraus. Der Autor las das ganze Buch im Theater Teufelhof in Basel an sechs Abenden vor. Ich war damals Student und gehörte zum harten Kern der Dauerabonnenten bei dieser Lesung. In diesem Buch verdichtet sich Hohlers umfassendes politisches und künstlerisches Engagement zu einer fulminanten Geschichte mit finaler Katastrophe, welcher die Stadt Zürich durch einen Vulkanausbruch zum Opfer fällt - auch dies eine Art Rückeroberung.
Später entdeckte ich, dass auf der Insel Heimaey, die vor Island liegt, durch einen Vulkanausbruch im Jahr 1973 tatsächlich so etwas wie ein neuer Berg entstanden war. War das die Inspirationsquelle für seine apokalyptische Geschichte? Nein. Die Idee zum Roman entsprang einer sekundenkurzen Sinnestäuschung, die ihm beim Blick über die Stadt Zürich ein Wolkengebilde als Berg vorgegaukelt habe, verriet Franz Hohler kürzlich in einem Gespräch.
Die stillen Wasser des Alterswerks
Danach wurde es ruhiger mit den Anstössen, die Franz Hohler meinem Leben gab. Auch seine Erzählungen wurden kontemplativer. Der Luftpirat scheint seine aufrührerische Aktivität endgültig zurückgebunden zu haben auf das Wirken der kleinen Geste. Immerhin erscheint im Jahr 2000 nochmal «Ein Weltuntergang», eine kurze Erzählung im Geschichtenband «Zur Mündung», in welcher Franz Hohler die Sonnenfinsternis des Jahres 1999 schildert, die er auf dem Gipfel des 4500 Meter hohen Weisshorns erlebte.
Und dass sein widerborstiger Geist nicht einfach ruhig ist, beweist er auch im neuen Jahrtausend, etwa in der bitteren, endlosen Schilderung seines durch Industrie- und Geschäftsbauten zerstörten Lebensraums Zürich-Oerlikon, die dennoch im trotzigen Ausruf endet: «Das isch myni Corporate Identity!»
«Sulutsup» und «Saskrüptloxptqwrstfgaksolömpääghrcks»
Nach dem Jahr 2000 erlebte ich einen weiteren, unerwarteten Kreuzungspunkt mit Franz Hohler. Durch die eigenen Kinder und das unvermeidliche Vorlesen oder Erzählen von Geschichten entdeckte ich - teils wieder, teils neu - seine Kinderbücher.
Von den Kindergeschichten aus «Der Granitblock im Kino» war mir schon lange diejenige über die ausgestorbene Sprache «Ektisch» die liebste. Das Ektische besass nur zwei Wörter: «M» ist weiblich und hiess «Was ist denn jetzt wieder los?», und «Saskrüptloxptqwrstfgaksolömpääghrcks» ist männlich und hiess «Nichts». Eine gute Ausgangslage für eine Sprache, um auszusterben. Eine gute Ausgangslage für eine bissige Kritik an unserer männerdominierten Sprache und Gesellschaft.
Neu hinzu kamen für mich die wunderbaren Erzählungen vom Buben Tschipo, der so stark träumt, dass am Morgen Überreste des Traums im Bett liegen oder dass er in der Südsee aufwacht oder in der Steinzeit.
Lebe deinen Traum! Diese einfache Botschaft ist vielleicht der Kern von Franz Hohlers Schaffen. Vor allem solle man sich nicht erdrücken lassen von den Strudeln der Sachzwänge und vom Mahlstrom des Konsums, wie zwei der Fährnisse des Lebens im Gedicht «Die Insel Utopia» genannt werden. «E chli meh Läbe! E chli meh Freud», ruft er uns in einem seiner Lieder zu. Auf die gezielte Frage gesteht Franz Hohler: «Ja, ich bin ein Weltverbesserer.»
Am 1. März 2013 feiert Franz Hohler seinen 70. Geburtstag.