Lilo Baur kam 1958 im Aargau zur Welt. Als junge Frau wollte sie Tänzerin werden, aber die Leiterin der Tanzschule in Muri war gerade schwanger und vertröstete sie auf später. Zu spät.
Lilo Baur konnte nicht warten. So wurde sie Skilehrerin. Den Eltern zuliebe absolvierte sie das Lehrerseminar. Doch das war eben nicht das Wahre. Die Erleuchtung kam in Paris an der Schule für Bewegungstheater von Jacques Lecoq.
Kraftvolle Darstellungen
Von Paris zog es sie nach England zu Simon McBurney und den Theaterpionieren von Complicité. Mit der Titelrolle in «The Three Lives of Lucie Cabrol» sorgte sie für Furore. Aber auch Shakespeare im Londoner Globe Theatre stand auf dem Programm. Und dann kam doch noch der Tanz: in einem Solo der Neuenburger Choreografin Joëlle Bouvier 1999 am Festival von Marseille.
Lilo Baurs Theater lebt von der starken körperlichen Ausdruckskraft. Seelenregungen gerinnen bei ihr auf direktestem Wege zu einprägsamen Haltungen und Bewegungen.
Oft spürt sie darin auch eine gnadenlose Komik auf. Zum Beispiel, wenn sich der Geizhals Harpagon in Molières Komödie mit hochnotpeinlicher Todesangst an seine Geldschatulle krallt. Lilo Baurs Theater ist ein Theater der kraftvollen Darstellung.
Ohne Bilder kein Stück
«Wenn ich ein Stück lese und keine Bilder vor meinem inneren Auge entstehen, geht es nicht», sagt sie. Als die Comédie-Française sie für «L’Avare» anfragte, habe sie gezögert – Theatergott Molière an Frankreichs erstem Haus, Molières höchsteigenem Theater!
Als dann bei der Lektüre ständig die «cassette», die Geldschatulle, vorkam, seien in ihr sogleich Vorstellungen aufgeschienen: «Die Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg, die Schweiz als Hort der Goldreserven, von Tresorräumen, für die es zwei Schlüssel braucht.»
Für Baur stand fest: Das Stück müsse in Genf spielen, in einem Haus mit Überwachungskameras am See. Und Harpagon müsste ein reicher Bankier sein, der mit seinem Reichtum angibt. «Plötzlich sah ich so viele Bilder vor mir, dass ich gesagt habe: Ich mache die Inszenierung!»
Kunst der Körperkomik
Diese Saison läuft «L’Avare» in der Comédie-Française. Gleich nebenan, in der Opéra-Comique, steht Lilo Baurs Inszenierung der Oper «Armide» von Jean-Baptiste Lully auf dem Programm. Auch dies ein Abend nicht nur der grossartigen Musik (dirigiert von Christophe Rousset), sondern auch der grandiosen Bilder.
Es ist solche präzis getimte Körperkomik, die Lilo Baurs Theater unverwechselbar macht. Bilder, die noch eine ganze Weile vor dem geistigen Auge nachflimmern, und an die man mit einem unwillkürlichen Schmunzeln zurückdenkt. Denn was gibt es Grösseres als die kleine komische Falte im tragischen Stoff?
Und womit liesse sich die Liebe zum Theater – zur Menschheit – besser zum Ausdruck bringen? «Ich habe Freude daran, mit Menschen zusammenzuarbeiten und ihnen die Lust zu vermitteln, etwas auszuprobieren», sagt Lilo Baur.
Nun erhält sie dafür die höchste Ehrung im Schweizer Theaterwesen – und wird hoffentlich auch in der Deutschschweiz zum Begriff.