Klammheimlich wurde Renato Kaiser in den vergangenen Jahren omnipräsent. Zuerst auf den Slam-Poetry-Bühnen, dann mit abendfüllenden Soloprogrammen, mit Buchpublikationen, im Radio, auf Youtube und immer mehr auch im Fernsehen.
Die Rolle als Aussenkorrespondent der «Late update»-Show von Michael Elsener sitzt ihm perfekt, schon rein äusserlich: Mit seinen 34 Jahren, dem Kahlkopf und im Anzug sieht er aus wie ein seriöser Journalist. Ausserdem ist Renato Kaiser ein Erklärer.
Er wolle den Leuten in erster Linie etwas erzählen, das er auch sich selber erzählen und erklären muss, sagt er. Deshalb fühlen sich die Menschen ernst genommen.
Ernst zu nehmen
Es ist erstaunlich: Renato Kaiser vertritt ziemlich radikale Positionen am linken Rand des politischen Spektrums, bricht mit Leichtigkeit und Charme gesellschaftliche Tabus – und wird trotzdem kaum ernsthaft angefeindet.
In seiner ersten eigenen Fernsehsendung «Tabu» auf SRF drehte er mit Randgruppen – Behinderte, Verarmte, Übergewichtige – seriöse Dokumentationen und machte gleichzeitig aus dem Lebenstrauma dieser Menschen eine Comedy-Show, die er in Anwesenheit dieser Menschen aufführte.
Das klang dann zum Beispiel so: «Invalid häisst übersetzt ‹wertlos› und das stimmt äifach nöd, Invalidi sind nöd wertlos, sie sind megatüür!»
Darf Satire so weit gehen? Renato Kaiser jedenfalls darf. Weil er messerscharf argumentiert ohne zu verletzen, weil er einem das Gefühl gibt, man wird nicht überfahren und indoktriniert, sondern man könne beim Zuhören mitdenken.
Zudem dreht er schwierige Themen so weiter und ironisiert sie mit Wortspielen, dass man am Ende, selbst als Betroffene oder Betroffener, befreit lachen kann. Man spürt, dass er nicht ernsthaft meint, Invalide würden zu viel Geld kosten.
Noch etwas kommt hinzu: Er überlege sich sehr genau, Wort für Wort, wie er etwas sage, und informiere sich gründlich über seine Themen, so Kaiser. Deshalb biete er kaum Angriffsflächen. Wer ihn mit Hasskommentaren bekämpfen wolle, müsse es sich genau überlegen. Das sei den meisten zu anstrengend. Man wird den Eindruck nicht los, dass da einer einfach zu klug ist für Wutbürger.
Mit dem Blick von aussen
Ausserdem ist er demokratisch und gerecht: Renato Kaiser macht sich genauso über Behinderte lustig wie über Machos oder das Flüchtlingsdrama auf dem Mittelmeer. Er kämpft gegen den Wahnsinn und Unsinn in der Welt.
Deshalb passt der Aussenkorrespondent so gut zu ihm, denn dieser hat den Blick von aussen. Ausserhalb der Vorurteile und Befangenheiten. Draussen bei den Sozialhilfeempfängern, den Schwulen, Lesben und Queers.
Er wirbt um Verständnis für diese Randgruppen mit dem Mittel der Ironie, der Parodie, der Satire. Oft dreht er den Politikern und Meinungsmachern einfach ihre eigenen Sätze im Munde herum, bis ihre Absurdität offensichtlich wird. Und das alles in hohem Tempo, leidenschaftlich und mit abenteuerlicher Wortakrobatik.
Man muss ihn einfach mögen, diesen kleinen Mann mit der Glatze und der Warze an der Nasenwurzel und dem unbremsbaren Mundwerk. Der so durchschnittlich wirkt und uns doch zwingt, radikale Gedanken ernst zu nehmen.
Keine Frage – Renato Kaiser hat den Salzburger Stier verdient.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Nachrichten, 4.11.2019, 6:00 Uhr