Wie lange braucht man, um 500 Namen aufzuschreiben? Elmira Bahrami weiss es selbst nicht. Denn sie macht es zum ersten Mal.
Die Zahl der Getöteten ist auch nicht sicher. Zumal das iranische Regime weiterhin mit aller Härte gegen die Demonstrierenden vorgeht und die Zahl deshalb täglich steigt. «Wer weiss, wie viele es am 24. Dezember sein werden», meint die 37-jährige Bahrami.
Schreiben gegen das Vergessen
An Heiligabend und an Weihnachten wird sich Elmira Bahrami in einem Nebenraum des Theaters Basel einschliessen und die Namen aufschreiben. Die Transparente werden anschliessend im Foyer des Theaters aufgehängt.
«Ich möchte dieser Menschen gedenken», sagt die deutsch-iranische Schauspielerin, «damit sie nicht vergessen werden».
Es sind zum grossen Teil junge Leute, in ihren Zwanzigern oder noch jünger. Sie wurden auf der Strasse erschossen, in Gefängnissen zu Tode geprügelt oder vom Regime öffentlich gehängt.
Die Gewalt dokumentieren
Dass Elmira Bahrami die Namen der Getöteten überhaupt kennt, ist mutigen Menschen im Iran zu verdanken: «Die Leute führen Listen über die Taten ihre Peiniger», weiss die Schauspielerin, deren Eltern nach der islamischen Revolution 1979 aus dem Iran geflüchtet waren. «Es gibt Online-Dokumente mit den Namen der Getöteten: wie alt sie waren, ob und wo sie zur Schule gingen oder was sie beruflich machten.»
Es wurden längst nicht alle Opfer des Regimes erfasst, die Dunkelziffer dürfte hoch sein. Elmira Bahrami ist zwar täglich online und am Handy, um die Situation im Iran zu verfolgen, doch vieles bleibt unübersichtlich: «Manchmal verschwinden die Leute einfach, und Freunde und Angehörige wissen tagelang nicht, was mit ihnen passiert ist», erzählt sie.
Freiheit als Privileg
Bahrami weiss, wie sehr sich die Protestierenden im Iran in Gefahr bringen: «Es macht mich wütend und traurig. Aber ich bin auch voller Bewunderung. Die Leute riskieren Gefängnis, sie könnten getötet werden, sie verlieren ihre Freunde. Und doch machen sie weiter. Der Wunsch nach Freiheit ist derart stark.»
Für Elmira Bahrani, die in Deutschland aufgewachsen ist, sind diese Freiheiten selbstverständlich: dass Menschen ihre Meinung sagen dürfen, dass man ihnen keine absurden Kleidervorschriften aufzwingen kann. «Darum habe ich auch keine Angst», sagt sie. Aber sie weiss um das Privileg der Freiheit, das eben nicht selbstverständlich ist. Darum möchte sie den Mut der Menschen im Iran feiern und an die Getöteten erinnern.
Hinschauen und wachbleiben
Dass ihre Aktion gerade jetzt stattfindet, kommt nicht von ungefähr. Die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr sind die lichtlosesten des Jahres. Aber sie markieren auch den Wendepunkt, wenn es langsam wieder heller wird. Auch in der altpersischen Kultur hat die Wintersonnenwende diese hoffnungsfrohe Bedeutung.
Elmira Bahrani hofft, dass sie mit ihrer Aktion auch politisch etwas bewegt, dass die Schweiz sich härteren Sanktionen gegen den Iran anschliesst. Aber vor allem geht es ihr darum, wachzubleiben, hinzuschauen und jenen Heldinnen und Helden Respekt zu zeigen, die für die Freiheit alles geben – mitunter auch ihr Leben.