Aiana Gennai und ihr Lieblingsphilosoph:
«Wenn der Philosoph jemand ist, der die Wahrheit, das Schöne und das Gute begehrt (Platon), dann ist mein Lieblingsphilosoph: Franz von Assisi. Ich habe ihn gewählt, weil er nicht nur theoretisch nachgedacht hat, sondern er hat seine Werte, seinen Glauben gelebt, so dass sein Leben seine Philosophie gewesen ist. Beim Lesen anderer Philosophen habe ich das Gefühl, der Philosoph ist nur ein Beobachter, der durch sein subjektives Prisma das Leben der anderen sieht und glaubt, dass das die Wahrheit ist. Ich finde, dass Themen oft behandelt wurden, die den Philosophen selbst nicht betreffen.
Ich frage mich also: Wozu dient «Emile ou l’Education», wenn Rousseau seine eigenen Kinder ausgesetzt hat? Wozu dient «La Domination masculine» von Bourdieu, wenn er die, die es zu allererst angeht, nicht zitiert oder sprechen lässt? Wozu dienen die Bücher, wenn sie nur von Studierenden und Gelehrten gelesen werden?
Für mich ist der ein Philosoph, der sich praktisch engagiert, um für die, die es angeht, einen Ausdrucksraum zu schaffen. Das Leben der Anderen, die Erfahrungen, die nie erlebt wurden, sollten nicht die Kohle der Anerkennungslokomotive des Denkers sein. Es gibt andere, mutigere Wege, um die Welt zu ändern. Und der Franziskaner ist ein Beispiel dafür.
Seine Gedanken sind immer noch aktuell. Er all seinen Reichtum hinter sich gelassen. Er lebte mit und in der Natur. Seine Philosophie und sein Leben sind eins. Sein Leben ist ein Beweis dafür, dass Philosophie aktiv gelebt sein kann.»
Chris Diederich und sein Lieblingsphilosoph:
«Ich finde heute Nietzsche wichtig, da er aufzeigt, wie wichtig der Ausdruck für das Glück ist. Der Ausdruck ist bei Nietzsche ein Mittel, um glücklich zu sein. Mit Glück meine ich die Selbsterkenntnis und Selbstverwirklichung. Unter Ausdruck verstehe ich das Element künstlerischer Handlung. Nietzsche hat gesagt, man solle jeden Tag tanzen, sonst sei der Tag vergebens. Der Tanz ist der körperliche Ausdruck.
Heine, der von Nietzsche anerkannt wurde, meinte: ‹Krankheit ist wohl der letzte Grund / des ganzen Schöpferdrangs gewesen. / Erschaffend konnte ich genesen / Erschaffend wurde ich gesund.› (H. Heine: «Schöpfungslieder») Hier sieht man als Erweiterung der Glücksfunktion die therapeutische Funktion des künstlerischen Ausdrucks. Gott ist bei Heine in der Rolle des Künstlers des Universums.
Im Alltag kennen wir die Analogie in der Kunsttherapie. Aber auch im Gesundheitsfall ist für Nietzsche die Kunst das Ideal. Hiermit stellt sich Nietzsche quer zur griechischen Tradition, da die Kunst als zur Techne gehörend, der Philosophie unterlegen ist. Aber Nietzsche war seiner Zeit voraus und ahnte, dass das Machen das Denken bald übertrumpfen wird, und so leben wir nun in einer Zeit, wo die Arbeit am natürlichen Gegenstand mehr Prestige hat als das Denken über die Natur.»
Benjamin Senn und sein Lieblingsphilosoph:
«Diogenes von Sinopa ist eine sagenumwobene Figur. Es existieren wahrscheinlich mehr Legenden über ihn als Texte von ihm. Dennoch oder gerade deshalb ist seine Philosophie und seine Persönlichkeit noch heute populär. Der kauzige Kyniker, der auf dem Athener Marktplatz in einem Fass haust, dort öffentlich isst (was damals als Tabu galt) und gar masturbiert (was immer noch als Tabu gilt) und die Menschen mit seinen satirischen teils makaberen Ansichten konfrontiert. Er lebt die sokratische Genügsamkeit bis in die Extreme und wirft schlussendlich gar seinen Trinkbecher weg, als er feststellt, dass auch seine blossen Hände zum Trinken genügen.
Dem grossen Eroberer Alexander dem Grossen sagt er, er solle ihm aus der Sonne gehen, und am helllichten Tag sucht er mit einer Laterne auf dem Athener Marktplatz einen echten Menschen. Er ist ein Rebell, ein Aussenseiter, ein Hund und ein weiser Mann, der die Gesellschaft in ihrem tiefsten Inneren provoziert.
Ein paar Fässer auf unseren Marktplätzen brächten heute wohl die Immobilienpreise zu Fall, der Verzicht auf Luxus würde den Kapitalismus zügeln und nähme uns die Angst, etwas zu verlieren: Wer nichts besitzt, kann auch nichts verlieren. Ein gesunder Spott gegenüber der Obrigkeit würde deren Macht eindämmen. Wir sollen nicht alle wie Diogenes werden, aber wenn wir uns ab und an zurückbesinnen und den Marktplatz aus der Perspektive eines Fasses bestaunen würden, dann wären wir alle ein Stück weiser.»
Boris Beer und sein Lieblingsphilosoph:
«Nicht allein sein mit Kierkegaard. Angesichts der technischen Entwicklung, könnte man meinen, die Kommunikation sei die wichtigste und prägendste Errungenschaft unserer Zeit. Und doch kann man nicht alles auf die Technik reduzieren. Immer schneller, unmittelbar und andauernd in Bereitschaft, das ermöglichen uns die elektronischen Geräte. Aber was ist die Folge davon? Die Beziehungen zwischen Menschen bestehen seit tausenden von Jahren. Sie umrahmen die jeweils vorherrschenden Ideen.
In den Jahren um 1840 hatte Kierkegaard – nachdem er den grössten Teil seiner Familie verloren hat – grosse Probleme in der Beziehung zu seinem Vater und zu seiner Verlobten. Dies prägte seine philosophische Entwicklung bezüglich der Wahrnehmung der anderen. Er beschreibt den Menschen als in einem Zustand der ‹Halb-Kommunikation› lebend. Und in diesem Zustand befindet sich ein Grossteil der westlichen Bevölkerung noch heute.
Der Fokus auf der eigenen Person, auf sich selber verhindert eine Verbindung mit dem anderen. Das Bedürfnis sich zur Schau zu stellen, fördert die Haltung ‹Jeder für sich› und die Menschen geraten in einen Kampf, sind unfähig, die anderen wahrzunehmen. Die Analyse Kierkegaards eröffnet Denkansätze: Ich sage nicht, dass diese Erkenntnisse allumfassend sind, aber die Denkkonzepte Kierkegaards sind eine Möglichkeit, die aktuellen Gesellschaftsprinzipien neu zu überdenken.»
Am 12. November kann man die Slammer in Biel live erleben beim Philo-Slam 2015, an der Eröffnung der Bieler Philosophietage.