Zur Adventszeit wird am Theater Stadelhofen in Zürich die tragische Geschichte von Pinocchio als Puppentheater für Kinder erzählt. Das Stück spielt in einem Walfischbauch und lässt Motorsägen aufheulen. Ein Gespräch mit Regisseur Benno Muheim über Kindheit, Illusionen und das Handy.
SRF: «Pinocchio» ist eine ungewöhnliche Wahl für die Vorweihnachtszeit – wieso haben Sie sich für dieses Stück entschieden?
Benno Muheim: Wir wollten einen Gegenpunkt setzen. Einen vielfältigen Blick auf Kindheit werfen, so wie es im Roman von Carlo Collodi aus dem Jahr 1881 angelegt ist.
Es ist ein Risiko und wir gehen es ein. Wir wollen mit den Kindern verweilen und mit ihnen ins Gespräch kommen – in aller Besinnlichkeit.
Die Geschichte von Pinocchio ist von Prüfungen, Gefahren und Todesangst geprägt. Wieso muten Sie den Kindern so viel zu?
Kinder schauen differenzierter und vor allem präziser zu als Erwachsene. Sie haben die Theatersozialisierung noch nicht mitgemacht und lernen sie eben erst.
Kinder nehmen sinnliche Vorgängen auf der Bühne mit einem freien Blick wahr und verknüpfen das, was sie im Moment erleben, intuitiv mit ihren eigenen Erfahrungen.
Das Theater kann auch Kindern Trost geben.
Dennoch sind gewisse Szenen, etwa das Eselsfieber, das Pinocchio beinahe umbringt, selbst für Erwachsene schwer auszuhalten.
Als Regisseur verstehe ich die Bühne als einen «offenen Denkraum». Wir fragen uns mit den Kindern, welche Perspektiven man auf das Leben einnehmen könnte.
Wir können ihnen Mut machen – vielleicht auch Angst. In dem Sinne, dass wir mit ihnen durch diese Angst hindurchgehen. Das Theater kann Trost geben in einem Leben, das auch für Kinder bisweilen traurig, unverständlich und grausam ist. So wie es glücklich, hell und leuchtend sein kann.
Kinder wachsen heute in einer digitalisierten Welt auf. Die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Illusion verwischen. Was kann das Theater als Ort des Spiels im Hier und Jetzt leisten?
Der Digitalisierung im technischen Sinne gegenüber bin ich gelassen. Sie ist eine weitere Spielform des Menschen und Ausdruck seiner Urfähigkeit, Wirklichkeit herzustellen.
Der Mensch braucht Illusion und Imagination, weil es das Prinzip seines Lebens ist: wie er die Welt anschaut, definiert und welche Bedeutung er dem Leben gibt.
Im Theater sind diese Mechanismen offengelegt. Auf der Bühne kann man letztlich nichts verstecken. Der spielerische Umgang damit ist entscheidend.
Der Mechanismus, wie ein Stück Holz auf der Bühne belebt wird, ist derselbe, wie wenn ich am Handy mit Freunden chatte.
Was aber, wenn die Kinder trotzdem überfordert sind?
Wir spielen bewusst nur für Kinder ab sieben Jahren. Und ich liebe das «Häää?» im Zuschauersaal. Es ist eine grossartige Reaktion!
Wenn Kinder etwas nicht verstehen und das ganz offen zum Ausdruck bringen, fängt die Auseinandersetzung mit dem Geschehen an. Darum geht es. Am Anfang steht immer die Frage. Und die ist nicht intellektuell, sondern kommt direkt aus dem Bauch heraus.
Das Gespräch führte Kaa Linder.