Gewöhnlich zeichnet sich das Politleben in der Schweiz nicht durch übermässige Hektik aus oder durch Überraschungscoups. Schon gar nicht ein Routinevorgang wie die Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats.
Doch im Dezember 2007 war das für einmal anders: Damals wurde der amtierende Christoph Blocher gleich im ersten Wahlgang abserviert. An seiner Stelle wählte das Parlament Eveline Widmer-Schlumpf in den Bundesrat.
Diese Story kommt jetzt ins Theater. Das Zürcher Theater Neumarkt widmet dem «einzigen Politthriller der Schweiz» mit «EWS» seine neuste Produktion. Regie führt der 38-jährige Piet Baumgartner.
Ihm sei es wichtig gewesen, dass daraus nicht ein Stück über die Abwahl von Christoph Blocher werde, sondern eines über Widmer-Schlumpf: «Sie steht für dieses typisch Schweizerische: die Sachpolitik. Man stellt sich in den Dienst einer Sache. Es geht um Argumente, mit denen man zu überzeugen versucht.»
Dossierfeste Pragmatikerin
Im Zentrum des Orkans stand mithin eine Politikerin, die die Unaufgeregtheit selbst repräsentiert. Auf den populistischen Volkstribun folgte die nüchterne Frau, die die helvetischen Polit-Tugenden verkörpert: schnörkellose Sachlichkeit, Dossierfestigkeit, Konkordanz, den lösungsorientierten Pragmatismus.
Für die Theatermacher hat diese helvetische Polarisierung Züge eines modernen Volkstheaters. Ihre Inszenierung baut zwar auf Recherche auf und nutzt Originaltöne aus Interviews mit Politikerinnen und Politikern, die damals dabei waren und heute zurückblicken.
Sie nähern sich der politischen Person Widmer-Schlumpf aber mit künstlerischen Mitteln und künstlerischer Freiheit, kritisch und assoziierend. Am augenfälligsten wird dies dadurch, dass Eveline Widmer-Schlumpf nicht nur einmal auf der Bühne steht, sondern vervielfältigt.
Elfmal Eveline Widmer-Schlumpf
Elf Eveline Widmer-Schlumpfs treten im Neumarkt auf: Sängerinnen und Sänger, Laien, der Schauspieler David Attenberger und die Schauspielerin Melina Pyschny aus dem Neumarkt-Ensemble, die Slam-Poetin Lara Stoll.
Elf Eveline Widmer-Schlumpfs, die für die Facetten einer Persönlichkeit stehen können, für die unterschiedlichen Erzählungen, die sich mit dem Wahlkrimi verbinden. Vielleicht auch für die Frage, inwiefern das Individuum Gewicht hat in einem politischen Prozess und inwieweit das Kollektiv.
Im Neumarkt-Saal steht eine breite Treppe mit rotem Plüsch und Messinghaltern, eine Mischung aus Showtreppe und Bundeshaus, daneben Mobiliar einer bürokratischen Amtsstube, Aktenschränke, ein Kopierer. Auch an diesem Bühnenbild von Anna Wohlgemuth lässt sich die Kollision von Show, von medialem Hype, und unaufgeregter Sachlichkeit ablesen.
Für Regisseur Piet Baumgartner liegt die Aktualität dieser Geschichte auf der Hand: «In Zeiten des zunehmenden Populismus finde ich es gut und richtig, wenn man sich wieder der Sachpolitik widmet, auch im Theater.»