Kaum ist das Konzert in der Salzburger Felsenreitschule zu Ende, erhebt sich das Publikum schon zur Standing Ovation. Es gibt keine Proteste gegen den Auftritt des griechisch-russischen Dirigenten Teodor Currentzis in Salzburg. Im Gegenteil: Für seine Aufführung von Henry Purcells Musiktheater «The Indian Queen» erntet er frenetischen Applaus.
Musikalisch ist der Jubel ohne Zweifel verdient. Currentzis hat Purcells Oper um weitere Werke des britischen Barockkomponisten ergänzt, wie es bei ihm Usus ist: geistliche Gesänge, die dem Abend eine innige Tiefe geben.
Himmlische Musik – politische Abwege?
Der Regisseur Peter Sellars erzählt dazu seine eigene Geschichte von einer Inka-Prinzessin, die sich in einen spanischen Konquistador verliebt, also eine Art Stockholm-Syndrom zu ihrem Unterdrücker entwickelt. Sie wird zur Doppelagentin zwischen den Fronten.
Eine Schmonzette, nicht der Rede wert – wenn nicht die himmlische Musik wäre. Und wenn man dabei nicht gleich an Currentzis selbst denken müsste. Seine Nicht-Distanz zum russischen Regime, seine Nicht-Kritik am Angriff auf die Ukraine.
Viel Feind, ein bisschen Ehr
Viele Konzertveranstalter und Festivals arbeiten nicht mehr mit Currentzis. Nicht so die Salzburger Festspiele: Intendant Markus Hinterhäuser hält ihm die Treue. Tatsächlich hat der Dirigent den Salzburger Festspielen seit 2016, als Hinterhäuser antrat, eine Reihe musikalischer Sternstunden beschert.
Um die Musik gehe es in erster Linie, argumentiert Hinterhäuser. Und auch, dass Currentzis seine Musiker und ihre Familien in Russland nicht einfach im Stich lassen dürfe.
Diese Haltung trägt den Festspielen Kritik ein. Nicht unbedingt vom Publikum, aber aus dem Musikbetrieb. Zum Eklat ist es vorerst nicht gekommen. Bleibt abzuwarten, wie das Publikum reagiert, wenn Currentzis kommende Woche in Salzburg Mozarts c-Moll-Messe dirigiert. Deren Aufführung als Kirchenkonzert stellt jedes Jahr ein Herzstück der Festspiele dar.
Hamlet dient als Mottogeber
«Die Welt ist aus den Fugen» lautet das Motto der diesjährigen Festspiele. Das Hamlet-Zitat passt zum politischen Zögern wie zu einem breit gefassten Musik- und Theater-Programm. Es trifft auf Mozarts Swinger-Drama «Le nozze di Figaro» ebenso zu wie auf Verdis Psycho-Oper «Macbeth».
Auf Lessings «Nathan der Weise» wie auf Brechts «Kaukasischen Kreidekreis», den das Zürcher Theater Hora in Salzburg mit Regisseurin Helgard Haug (Rimini Protokoll) herausbringt. Oder auf Bohuslav Martinůs selten gespielte Oper «The Greek Passion»: Darin geht es um Asylbewerber und wie sie in einem griechischen Dorf aufgenommen werden. Ein Thema von drängender Aktualität.
Frischer Blick auf klassischen Kanon
Insgesamt zeigt Salzburg ein Programm, das sich auf den klassischen Kanon stützt, die Crème de la crème der Interpretinnen und Interpreten, aber gleichwohl eine neue Perspektive sucht, den frischen Blick. Das ist der typische Salzburger Spagat. Einerseits die grosse Meisterschaft im Etablierten, anderseits der Versuch, es dabei nicht bewenden zu lassen und mit der Zeit zu gehen. Das Schritttempo dürfte allerdings noch etwas zulegen.