«Hoch in den Bergen, weit von hier, da wohnt ein Büblein so wie ihr.» Mit diesen Worten beginnt «Schellen-Ursli» von Selina Chönz und Alois Carigiet, eines der berühmtesten Schweizer Kinderbücher.
1945 wurde es erstmals veröffentlicht. Nach 35 Auflagen, mehreren Verfilmungen und einer Musicaladaption ist das Buch auf der Opernbühne angekommen: am Theater Basel, in einer Neuvertonung von Marius Felix Lange.
Stadtkinder spielen Berggeschichte
Doch was ist so faszinierend an der Geschichte eines kleinen Jungen aus Guarda im Unterengadin, der die grösste Glocke zum traditionellen Chalandamarz-Umzug haben will und sie sich heimlich durch einen gefährlichen nächtlichen Fussmarsch in der Familienalphütte holt?
Können Basler Stadtkinder mit dieser Geschichte, die hoch in den Bergen spielt und von einer so eigentümlichen Tradition erzählt, überhaupt etwas anfangen?
Die Basler Kinder, die in dieser Produktion auf der Bühne des Theaters Basel stehen, schon. Fast alle kennen die Berge von Ausflügen und Ferien mit ihren Eltern. Und der Chalandamarz, bei dem die Kinder mit grossen, lauten Glocken den Winter austreiben, hat Ähnlichkeiten mit der Basler Fasnacht.
Vom Gspänli gemobbt
Doch für die Kinder steht etwas anderes im Vordergrund: das Mobbing – und wie Ursli damit umgeht.
«Ursli wird von seinen Gspänli gemobbt, weil er für den Chalandamarz nur die kleinste Schelle abbekommen hat», sagt Mira Feigel. Sie spielt Urslis kleine Schwester Flurina, singt in der Mädchenkantorei Basel und weiss, was Mobbing ist.
Auch Aaron Christ – er spielt den Schellen-Ursli und singt in der Knabenkantorei Basel – hat schon Mobbing in seiner Schule erlebt. Er findet Ursli mutig.
«Er erinnert sich daran, dass in der Berghütte, im Maiensäss, eine sehr grosse Glocke hängt – und er macht sich einfach auf den Weg, um sie zu holen», sagt Christ. «Durch ganz viel Schnee und durch den halbdunklen Wald.»
Mut als Message
Den Mut zu haben, für seine Träume zu kämpfen – diese Message möchte Regisseur Tim Jentzen nicht nur seinem jungen Publikum vermitteln, sondern auch den Mitwirkenden auf der Bühne.
Ihm sei wichtig, dass nicht nur die Solisten der besten Chöre dabei sind, sondern dass alle mitmachen können. «Das ist für mich die Aufgabe des Theaters: allen die Teilhabe zu ermöglichen», sagt Jentzen.
Nun steht eine bunt gemischte Gruppe von Kindern und Jugendlichen auf der Opernbühne des Theaters Basel. Urslis Eltern werden von jungen Erwachsenen aus dem Opernstudio Avenir gespielt.
Die Musik von Marius Felix Lange klingt für alle Rollen anspruchsvoll. Denn sie lässt sich nicht einem Genre oder einer Tonalität zuordnen. Sie spielt mit Elementen der Volksmusik, hat aber auch viele atonale Passagen.
Kunstschnee auf Harassen
Bei der Premiere meistern die Kinder und Jugendlichen die anspruchsvolle Partitur, klettern gekonnt über die Berglandschaft aus Harassen, lassen sich unter Lawinen aus Kunstschnee begraben, und machen am Schluss mit den Glocken einen grossen Lärm.
Das Premierenpublikum zeigt sich begeistert. Auch hier sitzen viele Kinder, die in den Ferien in den Bergen herumklettern – und in der Schule Mobbing miterlebt haben.