Richard Wherlock, Direktor und Chefchoreograf des Ballett Basel, ist die Erleichterung ins Gesicht geschrieben: Endlich wieder Publikum.
Zu seinem 20-Jahr-Jubiläum stehen sieben Choreografien auf dem Programm. Der Abend beginnt im Schauspielhaus. Weiter geht es auf der kleinen und schliesslich auf der grossen Bühne.
Der Teamplayer, der den Tanz liebt
Doch Wherlock wäre nicht Wherlock, würden alle Stücke von ihm stammen. Der gebürtige Brite mit Schweizer Pass ist kein Einzelkämpfer, sondern Botschafter für Tanz – in all seinen Facetten. Wherlock selbst feiert die Uraufführung mit einem kleinen, feinen Pas de deux.
Auf der grossen Bühne hingegen zeigt der gefeierte Choreograf Hofesh Shechter sein exzessives «Grand Finale». Wherlock strahlt: «Das ist ein Riesenkompliment für mich und die Kompanie, dass solche Choreografen zu uns kommen. Und: immer wieder kommen.»
Dann fügt er schmunzelnd an: «Naja, ob sie wiederkommen oder nicht, ist meine Entscheidung.»
Macher ohne Machtspiele
Humor: Wherlocks Markenzeichen. Nicht sein Ding: Respektlosigkeit und Hackordnung. Seit 24 Jahren arbeitet die Ballettmeisterin Cristiana Sciabordi mit Richard Wherlock zusammen. Sie bekräftigt: «Das Spezielle an Richard ist seine Menschlichkeit. Er hat nie an Machtspiele geglaubt. In diesem Business eine Seltenheit.»
Sein Ensemble – Wherlock nennt es ein Reservoir von Talenten – ist seine zweite Familie. «In meinem Vertrag steht Direktor und Chefchoreograf. In Wahrheit bin ich auch Vater, Mutter, Psychologe. Meine Tür steht immer offen.»
Für Diversität und Gleichberechtigung
Wherlock wuchs in Bristol auf, verliess früh sein bürgerliches Elternhaus, schlug sich unter anderem als Koch durch, tanzte in einer Kabarettgruppe in Paris, studierte an der Ballet Rambert School London, arbeitete mit diversen Choreografen, kreierte eigene Stücke – und debütierte als Direktor vor exakt 30 Jahren am Theater Hagen.
Dort engagierte er erstmals einen schwarzen Tänzer. Wherlock erinnert sich: «Der arme Junge hatte Riesenprobleme. Ich hasse Ungerechtigkeit. Schon immer habe ich für Diversität, Toleranz, Gleichberechtigung gekämpft.»
Schweizer Pionierarbeit
In Basel habe er Akzeptanz gefunden – und die Möglichkeit, seine Vision zu verwirklichen. Der Chef setzt auf Kontinuität und die zahlt sich aus. Trotz Sparrunden beschäftigt er heute mehr Tänzerinnen und Tänzer als zu Beginn seiner Ära.
Sein Ensemble zählt zu den besten zeitgenössischen Kompanien Europas. In der hausinternen Ballettakademie fördert er den Nachwuchs. Jüngst hat der 62-Jährige einen Fonds ins Leben gerufen, um Ensemblemitgliedern nach ihrem Karriereende eine Umschulung zu ermöglichen. Eine Schweizer Pionierarbeit. 50 Rappen von jedem verkauften Ballettticket fliessen in diesen Fonds.
Kein Druck, aber Anspruch
Trotz seiner Umtriebigkeit sei er innerlich ruhiger geworden. Wherlock lacht: «Früher war ich der «dynamische,
akrobatische Choreograf». Immer hiess es: «too many steps – zu viele Schritte». Ja, ich hatte Konkurrenzdruck. Ich wollte es einfach schaffen. Diesen Stress habe ich nicht mehr. Das sieht man auch meinen Choreografien an.»
Keinen Druck, aber den Anspruch, mit seinem Ensemble zu brillieren und dem Tanz Tür und Tor zu öffnen, den hat Wherlock immer noch. Zum Glück.