Im März, zwei Tage vor der Premiere, hiess es im Circus Knie: Schluss mit lustig. Lockdown. Rien ne va plus. Mit über fünf Monaten Verspätung kann die abgespeckte Tournee am 4. September nun endlich starten.
Ins Zelt dürfen allerdings maximal 1000 Personen. Zudem herrscht Maskenpflicht. Das Clown Duo Ursus & Nadeschkin ist skeptisch. Wird ihr Programm das Publikum unter diesen Umständen packen?
Ein Wiedersehen mit unbekannten Vorzeichen
Vor 18 Jahren waren Ursus & Nadeschkin das Aushängeschild des Circus Knie. Ihre Nähe zum Publikum: legendär. Die Reaktionen: überwältigend. Ihre Rössli-Nummer: unvergessen. Als wäre es gestern gewesen.
Die beiden haben damals ausgiebig Erfahrung in der Manege gesammelt und für die Saison 2020 neue Nummern kreiert. Doch Corona hat alles auf den Kopf gestellt. Einmal mehr müssen sie sich auf unbekanntes Terrain wagen, sich neu erfinden. Alle Fragen offen.
Wie von Null auf 100 kommen?
Ursus und Nadeschkin stehen bei unserem Besuch erstmals seit dem Lockdown wieder in der Manege. Es sei wie ein Hochsprung ohne Anlauf, wie ein Köpfler ins seichte Wasser, bekräftigen Nadja Sieger und Urs Wehrli. Bei einem ihrer Auftritte mit dabei: eine Kuh. Eine Rennkuh.
Diese hat das Duo während der letzten Monate im Freien auf Trab gehalten. Ihre eigene Fitness habe aber glitten. Nadja Sieger erzählt: «Klar, wir haben im Garten geübt, aber wir werden, wenn es jetzt losgeht, Knall auf Fall 12 Vorstellungen pro Wochen spielen. Das wird ein Ritt.»
Wie agieren vor weniger Zuschauern?
Apropos Kondition: Wenn weniger Reaktionen aus dem Publikum spürbar sind, neigen Bühnenkünstler dazu, mehr und mehr zu geben, um Reaktionen und Lacher herauszukitzeln. «Wir haben Angst», sagt Nadja Sieger, «uns komplett auszupowern.»
Zudem bestehe die Gefahr des sogenannten «overacting». Also, dass sie zu übertrieben agierten. «Die Pferde merken nicht, wenn weniger Leute im Zelt sitzen. Die Artisten, hoch oben auf dem Seil, die mit lauter Musik auftreten, registrieren erst beim Applaus, dass die Ränge bestenfalls halbvoll sind. Aber, für das, was wir vorhaben, sind Zuschauer mit Masken kaum eine Unterstützung.»
Wie die Leute mit Lachen «anstecken»?
Das Clown-Duo unterstützt zwar die strikten Covid-Massnahmen und freut sich nach monatelangem Standby, doch noch in den Startlöchern zu stehen und ihre Nummern, an denen sie gewohnt detailversessen gearbeitet haben, präsentieren zu können. «Es kann aber sein, dass es ein Schuss in den Ofen ist», befürchtet Urs Wehrli.
Die beiden haben als Strassenkünstler angefangen. Nadja Sieger erklärt: «Das erste, was man auf der Strasse macht: Leute heranholen. Wir bringen sie zum Lachen und das Lachen soll anstecken. Ein Sakrileg in diesen Zeiten, überhaupt von ‘anstecken’ zu sprechen. Zudem wollen wir die Leute ‘berühren’, doch berühren dürfen wir nicht. Und in unserem Business funktioniert alles per Handschlag. Geht nicht. Blöd.»
Wie das Publikum integrieren?
Wie stets bei Ursus & Nadeschkin spielt das Publikum eine zentrale Rolle. Extra für die Knie-Tournee haben die Komiker mannshohe Buchstaben anfertigen lassen, um in der Manege ihr eigenes Knie-Plakat zu kreieren. Aus KNIE und PAUSE wurde bereits Anfang Jahr «KNISE».
«Damals wussten wir noch nicht, dass wir ziemlich prophetisch waren», sagt Nadja Sieger schmunzelnd: «Wir planten, Buchstaben durchs Publikum zu geben, wollten, dass diese durch die Reihen wandern.» Urs Wehrli: «Müssen wir jetzt jedes Teil desinfizieren? Wir wissen es noch nicht.»
Wie das Beste daraus machen?
Doch die zwei Künstler wären nicht Ursus und Nadeschkin, hätten sie wegen Corona den Humor verloren. Und ihren Optimismus. Urs Wehrli bekräftig: «Ich glaube, das Wichtige ist, dass wir nicht mit früher vergleichen. In diesem Zelt herrschte damals eine wahnsinnige Stimmung, eine solche Energie. Auf die darf man jetzt nicht hoffen. Wir müssen uns sagen, dass wir Teil eines historischen Events sein dürfen.»
Ob die Rechnung für die zwei Perfektionisten aufgeht, steht noch in den Sternen. Die Zuschauer aber, da sind wir uns nach dem Probenbesuch sicher, werden auf ihre Rechnung kommen.